Overtourism: Diese Reiseziele wurden überrannt
Overtourism: Diese Reiseziele wurden von Reisenden überrannt
Rekord: Die Zahl der gesichteten Seehunde im Wattenmeer stieg in den letzten Jahren stetig an. Mit 28.350 gezählten Seehunden zwischen Deutschland und den Niederlanden ist der Wert 2020 der höchste seit 1975. Auch das Wasser in den Kanälen von Venedig ist wieder klar – ist die Natur die einzige, die von der Corona-Krise zu profitieren scheint?
Bedeuten weniger Touristen auch weniger Belastung für Ferienorte und ihre Umwelt?
Ja, teilweise schon. Denn viele Orte sind von Overtourism betroffen: Die einstigen Sehnsuchts-Reiseziele werden der Menschenmassen, die zu ihnen pilgern, nicht mehr Herr.
Dabei hat jeder Ort seine eigenen Probleme, die zu dem Phänomen Overtourism führen.
Was sind die Overtourism Ursachen?
Reiseführer, Internet, Filme, Serien, Influencer*innen und Social Media: Sie alle bündeln Sehnsuchtsorte, nehmen uns durch Fotos und Videos mit auf Reisen in entlegene Urwälder, bunte Städte, an weiße Strände.
Deshalb planen wir unseren nächsten Urlaub für Venedig, Barcelona, Thailand und Co. Dies ist hauptsächlich möglich durch immer günstiger werdende Flüge, die wir mit drei Klicks spontan online buchen können.
Die Traum-Reiseziele werden geflutet von Reisegruppen, Pauschalreisenden, Rucksacktouristen – die pure Definition von Overtourism.
In den letzten Jahren machen auch insbesondere Touristen aus China einen zunehmenden Teil der touristischen Mobilität aus. Denn in dem knapp 1,4 Milliarden Menschen-Land wächst der Wohlstand und Reisen werden zugänglicher für die breite Masse. Das bedeutet nicht, dass Chinesen nicht reisen dürfen oder wir sie nicht erwünschen. Es ist nur ein Hinweis darauf, dass für einen großen Teil der Weltbevölkerung Reisen in Zukunft erst möglich sein wird.
Die vom Overtourism betroffenen Orte sind ihrerseits dem Ansturm nicht gewachsen, was auch eine der Overtourism-Ursachen ist: Private und schlecht regulierbare Portale wie Airbnb nehmen überhand. Dadurch steht für Anwohner*innen weniger Wohnraum zur Verfügung und der existierende wird teurer. Die Folge ist nachvollziehbar und gleichsam problematisch: Die Leute sind dem Tourismus gegenüber negativ eingestellt, obwohl viele von ihm leben.
Und auch die Natur leidet unter höherer Belastung: Plastikmüll, zertretene Korallen und überlastete Nationalparks auf Safari sind nur einige der vielen Beispiele. Es gibt keine einheitliche Grenze, wann aus gut laufendem Tourismus eben Overtourism wird.
Kippende Stimmung in Bevölkerung, Medien und in der Konsequenz auch in der Erfahrung der Reisenden sind allerdings hilfreiche Indikatoren für zu viel des Guten. Vom Overtourism sind Städte sind ähnlich betroffen wie die Natur.
Beispiele für Overtourism
Overtourism Venedig
Mit 28 Millionen Besucher*innen im Jahr ist Venedig zum Symbol für Overtourism geworden. Laut einer Studie ist dies fast drei Mal so viel, wie die Stadt verträgt.
Die um Venedig herum gelegenen Campingplätze zählen zu den größten der Welt. Viele Menschen kommen aber in Kreuzfahrtschiffen, die pro Tag tausende Menschen in die Stadt spülen und noch ein anderes Problem bergen. Denn diese Gäste bleiben nur für wenige Stunden und liefern deshalb für Anwohner*innen kaum einen Mehrwert: Sie nehmen wegen all-inclusive auf den Schiffen kaum Nahrung zu sich und brauchen auch keine Übernachtungsmöglichkeiten.
Die Schiffe verstopfen die Häfen, die Menschen die Straßen. Und übrigens verpesten die Schiffe dabei auch die Luft. Denn nur an wenigen Häfen der Welt gibt es gute Landstromanlagen. Die Folge: Die Motoren der Ozeanriesen laufen non-stopp durch.
Ein wenig weiter südlich sieht es nicht besser aus: Auch der Stadt Florenz geht es ähnlich: Bewohner*innen kämpfen gegen Overtourism. Denn es wird jede fünfte Wohnung der Stadt über Portale wie Airbnb vermietet und die Florentiner fühlen sich „wie im Zoo“ – ein trauriger Rekord in Italien.
Overtourism in Barcelona
Hafen, Sandstrand, Kultur, wunderschöne Altstadt, einzigartige Architektur, Berge, eine Feierszene, Künstler:innen, das leckerste Essen und Kneipen: Barcelona has it all.
32 Millionen Besucher*innen kommen jährlich auf die 1.6 Millionen Einheimischen der Stadt. Und diese spürt das enorm. Beinahe die gesamte Altstadt besteht aus Hotels oder Apartments, Preise schießen in die Höhe und über die La Rambla, wohl die bekannteste Straße der Stadt, möchte niemand mehr gehen, so dicht gedrängt und voller Taschendiebe ist sie. Eine gute Alternative ist aktuell noch Valencia. Nur für wie lange noch? Der Costa Brava Reiseführer von Nicole Biarnés liefert weitere Alternativen. Schau doch mal rein.
Overtourism Palma de Mallorca
Malle ist nur einmal im Jahr – schön wär’s für die Insel. Leider ist Mallorca, und insbesondere die Hauptstadt der Insel, Palma, über die Hälfte des Jahres ein Touristenhotspot. Es häufen sich Berichterstattungen zur Überlastung der Insel auf ganzer Linie. Overtourism in Palma de Mallorca beginnt schon am Flughafen und geht bis hin zu ungenügenden Abwassersystemen
Die Folge: Fäkalien werden ins Meer geleitet. Um diesen extremen Auswirkungen des massiven Partytourismus zu entkommen, wurden Gegenmaßnahmen entworfen: Nachhaltige Entwicklung und wirtschaftliche Ausdifferenzierung stehen ganz oben. Natürlich neben dem Appell an die Reisenden, die Natur zu achten.
Dann doch lieber mal in der Nebensaison nach Mallorca.
Overtourism Dubrovnik
Game of Thrones, eine der am meisten gefeierten Serien überhaupt, wurde unter anderem in Dubrovnik, in Kroatiens bekanntester Küstenstadt gedreht. Ich hatte das Glück, Dubrovnik viele Jahre vor der Ausstrahlung von Game of Thrones besuchen zu dürfen.
Die vielen Mauern und Treppen und das klare Meer vor der beeindruckenden Architektur machen den Ausblick wirklich einzigartig. Das denken sich auch viele Kreuzfahrtunternehmen, die mit der GOT-Serie ein perfektes Marketing-Tool an die Hand bekommen haben. Seit einigen Jahren ist Dubrovnik eine der am meisten durch Overtourism geplagten Städte. Auch hier das größte Problem: Kreuzfahrtschiffe.
Overtourism Ayer’s Rock / Uluru
Internationale Beispiele für Overtourism finden sich zum Beispiel in Australien. Der Uluru ist ein heiliger Berg inmitten des australischen Kontinents. Und seit Oktober 2019 ist es Touristen verboten, auf den Ayers Rock zu klettern.
So soll er vor negativen Einflüssen, wie Umweltzerstörung, geschützt werden, die durch Tourismus entstehen – insbesondere, da er jährlich von mehr als 250.000 Menschen aufgesucht wird.
Den Nationalpark dürfen Besuchende weiterhin betreten – aber mit Respekt. Denn der Uluru sei heilig und keine Spaßstätte wie Disneyland, betont der Sprecher des Uluru Nationalparks.
Overtourism Kho Phi Phi
Eigentlich ironisch: Im Film The Beach versucht Leonardo DiCaprio eine sagenumwobene Insel zu finden, die geheim ist. Gedreht wurde hauptsächlich auf Kho Phi Phi, in der Maya Bay in Thailand. Genau durch die schönen Bilder wurde eben jener Strand zum Pilgerort für Reisende.
Pro Tag lagen hunderte Boote in der Bucht – und das, obwohl sie als Naturschutzgebiet gilt. Durch den Klimawandel ohnehin schon angegriffen, wurde der Strand immer weiter zerstört. Bis die Behörden 18 Jahre nach Erscheinen des Films The Beach Konsequenzen zogen: Der Strand ist nun gesperrt, damit er sich erholen kann.
Fazit
Auch in Deutschland wird gelegentlich von Overtourism gesprochen. Berlins steigende Mieten und fehlender Wohnraum sind ein kleiner Indikator.
Natürlich: Reisende bringen Geld. Das ist Fakt. Viele Leute, insbesondere in ärmeren Ländern oder strukturschwachen Gegenden, finden im Tourismus einen Job. Wir merken das auch gerade jetzt in der Corona-Pandemie. Keine Touristen, keine Jobs, kein Geld. Aber das ist genau das andere Extrem.
Aber zu viel des Guten bleibt zu viel. Wer sich dennoch Barcelona, Venedig und Uluru anschauen möchte, sollte sich fragen: Wann ist in den Gegenden keine Reisezeit? Off-season unterwegs zu sein, hilft Natur und Menschen. Bei Unterkünften sollte darauf geachtet werden, dass sie inhabergeführt sind. Und nicht von schwer nachvollziehbaren Briefkastenfirmen auf Airbnb.
Und wer den Ort, an den er reist, wirklich wertschätzen möchte, achtet auf dortige Regeln und nimmt vielleicht in Kauf, mal nicht im überlasteten Stadtzentrum zu übernachten – all solche Kleinigkeiten helfen, Ursachen von Overtourism zu vermeiden.
Nur wenn man den Orten genug Zeit zur Regeneration lässt, können sie sich gegen Klimawandel und Umweltzerstörung wehren – wie Korallen – oder die Seehunde.
Pingback: Wandern in Kärnten: Meine Top 7 Wanderungen » Funkloch
26. Mai 2021, 10:21Barbara
7. Juli 2022, 14:13Hallo Steven,
sehr spannender Artikel. So ein Mittelding aus Over- und Undertourism (wie wir ihn in Zeiten von Corona erlebt haben) wäre wünschenswert. Sind wir mal gespannt, wie es sich in „normalen“ Zeiten entwickelt.
lg Barbara
Puschtra
30. Juni 2023, 15:58Hallo Steven,
Südtirol fehlt hier…die Einheimischen fangen an Tourismus zu hassen…
Grüße