Alm-Volunteering in Tirol: Eine Woche leben und arbeiten auf der Waxegg-Alm.
„Es ist wie mit einer Frau. Man sieht sie, ist gefangen und will sie.“
sind die Worte, die Alfred nach unserem ersten Schnaps wählt, um uns begreiflich zu machen wie seine Sehnsucht zur Waxegg-Alm entstand. Ich musste schmunzeln, verstand aber wie er es meinte. Ob unsere 12-köpfige Gruppe, die zu zwei Dritteln aus Frauen bestand, den Vergleich passend fand und erkannte, dass er über Liebe sprach, konnte ich durch einen langsamen Blick in die Runde nicht herausfinden.
In den folgenden Sätzen kam Alfred immer mehr ins Detail. Er erzählte von seinen 33 Jahren, die er als Fliesenleger und Ofenbauer in Oberösterreich gearbeitet hatte und wie er sich seine Rente vorstellte. Damit hatte er beinahe so viele Arbeitsjahre auf dem Buckel wie die Summe des Alters unserer beiden jüngsten Freiwilligen. Alfred wollte die Zeit nach seinem anstrengenden Arbeitsleben oben in den Bergen verbringen. Seit drei Jahren verbringt er nun die Monate Juni bis September auf seiner Alm. Sein Unternehmen fährt er in dieser Zeit auf ein Minimum herunter. Ab Oktober stürzt er sich wieder in den Berufsalltag. Diesen Rhythmus will er bis zu seiner Rente beibehalten.
Waxegg-Alm vor Berge
Waxegg-Alm vom Berg, dahinter die Zemm und auf der anderen Bachseite ist die Wanderhütte Alpenrose
Er machte uns bewusst, dass Almarbeit auch Arbeit ist, sie jedoch viel freier und flexibler ist und immer in der allerschönsten Natur stattfindet. Er sprach vom Abschalten, vom Finden innerer Ruhe und sprach mir mit so manchen Sehnsüchten so sehr aus dem Herzen, wie ich es nicht erwartet hätte.
Mit dem Beginn meines Studiums habe ich mir viel Freiheit zurückerobert. Ich genieße das Reisen, meine Zeit in Berlin und all die Flausen, die mir durch den Kopf springen. Doch innere Ruhe habe ich noch nicht gefunden.
Seine Aussage „Kommst runter und glaubst, die da unten haben alle einen Vogel.“ mit der er seine Ausführungen beendet, bringt uns zum Lachen und durchbricht meinen Gedankengang. Aber viel Wahres steckt in seinen Worten. Wenn du aus Berlin kommst und dir Hektik so oft begegnet wie ein Anstieg im Tiroler Alpenland und du dann zu allem Überfluss auch noch der Typ Mensch bist, der den ganzen Tag im Dauerlauf den Anstieg empor rennt, dann weißt du wovon Alfred gesprochen hat.
Also ließ ich mich von meinen Gedanken ablenken, orderte noch ein Zillertal-Bier, trank mit der ganzen Bande einen Kräuterschnaps und hörte unserer Vorstellungsrunde weiter zu. Eine dufte Truppe hatte der Hochgebirgs-Naturpark Zillertaler Alpen zusammen mit dem Alpenverein Österreich zusammengestellt. Es waren mit den drei Gruppenleitern Freiwillige aus den vier Ländern Österreich (7), Deutschland (3), Italien (1) und Kanada (1) zusammengekommen, um eine Woche ihren Dienst für die Natur zu leisten. Die Motivationen der Freiwilligen waren sehr unterschiedlich. Die Kanadierin wollte ihr Deutsch aufbessern, der Tiroler Bube hat auf Anraten seiner Mutter mitgemacht, einige wollten in der Natur der Alpen sein und andere sich einfach nützlich machen.
Unsere Arbeit auf der Alm.
Alfred und seine Frau Ottilie bewirten die Waxegg-Alm seit drei Jahren. Inzwischen haben sie 249 Schafe, von denen ich komischerweise kein einziges gesehen habe, 6 Kühe, 18 Färsen (junge Kühe, die noch nicht gekalbt haben) und 34 Kälber von umliegenden Bauern auf ihren Almflächen. Die Versorgung der Tiere und die Pflege der unfassbar riesigen Almflächen in einer Größe von 258 Hektar nehmen den größten Teil der Arbeit ein, denn Übernachtungsgäste dürfen die beiden aufgrund von Unstimmigkeiten mit dem örtlichen Bürgermeister nicht aufnehmen.
In den Jahren vor Alfred und Ottilie wurden die Almflächen der Wagexgg-Alm nicht ausreichend gepflegt. Die Folge war, dass ein großer Anteil der Weidefläche, durch Verbuschung zurückgegangen ist. Almenrausch, Wacholder, Grün-Erlen und Latschen sind die größten Verdränger „unserer“ Almflächen. Diese galt es in der Woche zurückzuschneiden, bzw. die bereits gestutzten Äste zusammenzusammeln. Unser Lohn für die Arbeit war die Unterbringung in der Alm sowie die Vollverpflegung inkl. Getränken.
Doch als ich hörte, welche Arbeit uns erwartete, wurde ich stutzig. Wir wollten doch in dieser Woche etwas für die Natur tun. Warum sollen wir dann Natur zerstören, in dem wir Pflanzen abschneiden, stutzen oder ausreißen?
Um diese Frage zu klären, musste ich einige Male mit den Verantwortlichen aus dem Naturpark das Gespräch suchen.
Zunächst muss verstanden werden, dass die Umweltbaustelle ein Projekt zum Schutz der Kulturlandschaft ist. Dabei soll das durch den Menschen über Jahrtausende geprägte Landschaftsbild der Alpen bewahrt werden. Der Mensch griff früh in die Naturlandschaft ein. Die Almflächen wurden bereits seit ungefähr 1700 v. Chr. bewirtschaftet.
Der Grund für die Almbewirtschaftung lag in der Versorgung der Menschen. Damit sich die Siedler der Alpen versorgen konnten, mussten Flächen in höheren Lagen (subalpin, alpin) genutzt werden. Flächen im Tal waren sehr feucht oder schattig. Damit die Versorgung über die langen Winter gesichert ist, wurden die Flächen in höheren Lagen (Almen) mitgenutzt.**
Mit dem Beginn der modernen, intensiveren Landwirtschaft und der Nutzung von Gunstlagen, wurde die Almwirtschaft immer mehr aufgegeben. Außerdem war sie im heutigen Sinne nicht mehr wirtschaftlich. Durch die Aufgabe der Nutzung begannen sich Arten auszubreiten, welche keine Störungen (z.B. Trittwirkung von Vieh) gewöhnt waren. Die Folge dieser Sukzession ist zunehmende Verbuschung, bis hin zur Entstehung eines Waldes.
Wenn das alte Landschaftsbild bewahrt werden soll, muss geschwendet werden. „Schwenden“ meint das Befreien von Weideland von Sträuchern und Bäumen – auf der Waxegg-Alm wurden jedoch alle Bäume erhalten. Als Ergebnis des Schwendens trauen sich die Kühe wieder in die Flächen und liefern die Störung, die die Alm „offen“ hält. Damit verbunden steigert sich die Artenvielfalt auf den Flächen. Eine entsprechend umfassende Beweidung würde also nicht nur die Verbuschung verhindern, sondern auch die Biodiversität steigen lassen!
Schönes Gefühl nach geleisteter Arbeit – die Kühe betreten wieder die Weideflächen, die vor Tagen noch nicht begehbar waren
Vom Schreibtisch auf die Alm.
Gesagt, getan. Der Naturpark hatte uns vom Nutzen der Arbeit überzeugt und wir starteten am Montagmorgen nach dem Frühstück in unsere Arbeit. Da neun Arbeiter des Maschinenrings in den Wochen zuvor schon ganze Arbeit geleistet hatten, blieb für das Team um Marius, Ioanna, Isabelle und mich nur noch das Auflesen der abgetrennten Äste. Und wenn ich das jetzt so locker flockig am Schreibtisch aufschreibe, dann klingt das viel einfacher als es war. Über die gesamte Höhe und Länge des Hangs zogen, warfen oder rollten wir die abgetrennten Äste nach unten – je nachdem was wir gerade für die beste Technik hielten. So befreiten wir die Flächen von den Grün-Erlen und Latschen und machten Platz für frisches Weideland. Unsere Arbeit war so schweißtreibend und anstrengend, dass wir anfangs nach jeder Stunde eine kurze Trinkpause machten.
Kaum war die Trinkpause vorüber, freute ich mich schon auf die nächste. Unser Job war hart, machte aber im Team sehr viel Spaß, da auch Zeit für Quatsch und Albernheiten blieb. Gegen Mittag suchte uns Alfred auf. Er hatte im Kofferraum seines Geländewagens Jausen, Obst und Getränke, so dass wir eine ausgiebige Mittagspause machen konnten. Mit dem Verzehr der Jausen spürte ich, wie mein Körper wieder stärker wurde und ich bereit war für die zweite Hälfte des Tages.
Während unserer Arbeit beflügelte mich ein ähnliches Gefühl wie beim Joggen. Ich vergaß alles um mich herum. Ich dachte nicht an Morgen, an anstehende Aufgaben, mein Studium oder andere Probleme, die einen manchmal wach liegen lassen. Ich dachte lediglich daran auf welche Art und Weise ich den verflixten nächsten Ast nach unten befördern würde. Und während ich daran dachte, freute ich mich umso mehr darüber, dass wir die ganzen Äste und Sträucher nach unten – und nicht etwa nach oben – schafften.
Nach etwa acht Stunden auf dem Berg, kehrten wir jeden Tag hungrig und erschöpft in die Waxegg-Alm zurück. Ottilie hatte währenddessen das Abendessen vorbereitet und ich wette, dass sie jeden Tag versuchte sich selbst zu übertreffen. Mit Erfolg. Ich kann mit stolz sagen, dass in meiner Familie und meinem Umfeld immer gut gekocht wurde, aber Ottilie legte dem noch mal eine ordentliche Schippe drauf. Meine Favoriten der Woche? Kässpatzen und Heidelbeerstrudel!
Alfred und Ottilie
Eine Pause von der Almarbeit machten wir nur am Mittwoch. An diesem Tag führte uns Wanderführerin und Rangerin des Naturparks Maria zur Berliner Hütte und zum Schwarzsee, ehe wir den Nachmittag zur freien Verfügung hatten. Da Marius am Nachmittag etwas Bouldern wollte, folgten wir ihm den Zemmbach hinauf. Eigentlich wollte ich mich auf den Wiesen vor den Bergen hinlegen ausruhen und vielleicht auch etwas schlafen. Doch diese faszinierende Bergwelt ließ mich nicht in Ruhe. Also schnappte ich mir meine Kamera und wanderte den Zemmbach hinauf, fast bis zum Gletscher. Unterwegs traf ich nicht nur die anderen, sondern auch ein Murmeltier, das frech zwischen zwei kugelrunden Steinen hervorblitze, um dann wieder im Nirvana des Gerölls zu verschwinden.
Berliner Hütte, die Wiege des Alpinismus
Berliner Hütte aus der Entfernung
Vollgefressen und glücklich versackten wir jeden Abend mit einigen Bier, Radler und Schnäpsen. Mal mit Gitarre und Gesangsbuch, mit Kartenspielen, am Lagerfeuer oder nachdem wir alle Lichter ausgeschaltet hatten, auf dem Rücken liegend und die Sterne beobachtend. Wahnsinn was uns im dunklen Zillertal für einen Sternenpracht erwartete. An keinem anderen Ort hatte ich jemals so viele Sterne gesehen.
Unter die Sterne mischten sich auch fünf Sternschnuppen. Wie es der Brauch so will, werde ich meinen Wunsch, den ich gleich in fünffacher Ausführung äußerte, nicht nennen. Aber gegen eine weitere Woche in den Zillertaler Alpen, mit dieser grandiosen Verpflegung und der duften Truppe hätte ich wohl nichts einzuwenden gehabt.
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** Quelle: Werner Bätzing – Die Alpen. Geschichte und Zukunft einer europäischen Kulturlandschaft
Vielen Dank an Alfred und Ottilie für die tolle Bewirtung in der Waxegg-Alm. Vielen Dank außerdem an den Hochgebirgs-Naturpark Zillertaler Alpen und den Alpenverein Österreich für dieses nützliche Projekt, das uns einen schönen Einblick in die Almarbeit und die wunderschöne Bergwelt des Zillertals gegeben hat. Ich danke außerdem Mela von Tirol Werbung für den Hinweis auf dieses tolle Projekt, die Organisation der Reise und die Übernahme der Fahrtkosten.
Mel (worldwhisperer)
16. August 2015, 21:47Oh wie toll ! Das würde ich auch sofort mitmachen.
LG Mel
Steven
17. August 2015, 8:15Na dann mach doch. 🙂
Auch in diesem Jahr gibt es noch einige Projekte, aber ggf. sind die schon ausgebucht.
Pingback: Bergwaldprojekt Val Medel – Warum ich in der Schweiz Bäume fällte
1. September 2019, 19:13Cool
31. Mai 2021, 5:57Wunderbar, ein toller Text