Zeit – ein teures Gut
von Tino Jezewski
Zeit (für sich und für andere) ist ein teures Gut
Genau vor einem Jahr zur Vorweihnachtszeit war ich in Guatemala. Aber nicht nur dort, denn zuvor war ich neben Neuseeland auch in einigen Regionen von Asien, Zentralamerika und im Anschluss sogar noch in Südamerika unterwegs. Eine Zeit, nur für mich – ich brauchte Abwechslung, ich wollte raus aus dem Alltag, ich wollte etwas von der Welt sehen … ich wollte mir einfach etwas Gutes tun. Ein Sabbatjahr – das klang gut 🙂
Aber was wollte ich machen? Wusste ich nicht, einfach los und dann sehen. Frei sein, ganz ohne Zwänge und einfach leben. Natürlich auch hier und da mal mit anpacken und helfen. Denn auch das kommt, gefangen im beruflichen Alltag und Stress, leider viel zu kurz. Meine Unterstützung für andere beschränkt sich, neben selbstverständlicher Hilfe für Freunde und Bekannte, leider fast ausschließlich auf das Finanzielle. Ende 2010 hatte ich jedoch sehr spontan für knapp 3 Wochen in einem Heim für obdachlose Kinder in Kenia geholfen. Eine Erfahrung von der ich bis heute zehre. Sie hat mir mehr als deutlich vor Augen geführt, dass egal wie schlecht es mir bisher ging, es nichts ist, verglichen mit dem andere leben mussten und müssen. Niemand kann sich aussuchen wie und „wohin“ er geboren wird. Ich hatte Glück: ich bin gesund, meine Eltern haben mir alles ermöglicht, ich habe tolle Freunde und bisher Erfolg im Beruf. Sich immer mal wieder vor Augen zu führen warum und über was man „jammert“ und das mit Verhältnissen anderer zu vergleichen hilft ungemein und relativiert so einiges.
Kenia 2010
Während meines nun einjährigen Sabbatical wollte ich meine neu gewonnene Zeit also definitiv auch für solche Erfahrungen nutzen. Reisen allein öffnet schon sehr die Augen. Aber ich wollte mehr und auch ähnliche Projekte wie damals in Kenia angehen. Sehr schnell musste ich aber feststellen, dass Reisen und Hilfsprojekte nur sehr schwer, was sage ich, fast unmöglich, vereinbar sind. Das liegt insbesondere daran, dass aufgrund der recht kurzen Zeit vor Ort der enge Kontakt zu Einheimischen fehlt und das Reisen eben auch diverse Ortswechsel und Planänderungen mit sich bringen. So vergingen 10 Monate – wundervoll und erlebnisreich, mit fremden Kulturen, Gebräuchen und Sitten, aber ohne ein „richtiges“ Hilfsprojekt.
In Guatemala traf ich dann Tine. Sie reiste mit Freundinnen und bereiste mit ihnen das Land, in welches es sie für knapp 1 Jahr verschlagen hatte. Sie war über eine deutsche Hilfsorganisation in ein Kinderheim hier in Guatemala gekommen. Eine Entscheidung vor der ich wirklich Respekt hatte – ein ganzes Jahr in ein Land, was sie selbst nicht kannte und was vom Lebensstandard mit Deutschland nicht vergleichbar ist. Respekt! Wir hatten uns allerdings nur zwei Tage in einem Hostel gesehen, Kontaktdaten ausgetauscht und dann trennten sich wieder unsere Wege. Während sie mit Ihren Freundinnen Richtung Tikal reiste, so verschlug es mich in Richtung Antigua und dann an den Lago Atitlan. Hier beschloss ich für zwei Wochen eine Spanisch Sprachschule zu besuchen.
Kurz vor meiner Abreise aus Guatemala und Weiterreise nach Kolumbien hatte ich dann beschlossen für ein verlängertes Wochenende in das Kinderheim zu fahren, in welchem Tine arbeitete. Es war nur wenige Stunden vom Lago Atitlan entfernt. Ein Abenteuer! 🙂
Das Abenteuer begann schon mit der Busfahrt dorthin. Wer Busbahnhöfe oder mindestens ausgeschilderte Haltestellen und Abfahrtstafeln in Guatemala erwartet, wird leider enttäuscht. Man muss eben wissen von wo was wohin fährt und vor allem auch wann. Nun gut, ich wohnte in einer Gastfamilie und die haben mir alle notwendigen Informationen gegeben. Vermutlich auch alles weniger abenteuerlich, wenn man wenigsten die Sprache beherrscht. Aber der war ich leider noch immer nicht mächtig. Da half nur ein Zettel mit Namen und Angaben. Nett waren sie ja alle zum vermutlich etwas hilflos wirkenden Touristen und so wurde ich jeweils an den richtigen Straßenkreuzungen raus „geworfen“ und habe dann auch irgendwie den richtigen Bus zur Weiterfahrt bekommen. Im Nachhinein eigentlich alles problemlos 🙂
Im Kinderheim angekommen, wurde ich freundlich empfangen. Mit Tine hatte ich vorher abgestimmt, was man denn so machen kann. Im Vergleich zum Heim in Kenia gab es hier eigentlich nichts, wo man wirklich richtig anpacken kann. Was aber klar fehlte waren Aktivitäten. Die Kinder hatten Ferien und somit keine Schule, es war kurz vor Weihnachten und viele hatten keine Familien oder mussten oder wollten lieber im Heim bleiben. Nach einigen Gesprächen und „Ortsbegehung“ stand unser Plan: ein kleines Sportfest bringt Bewegung, Spaß und Abwechslung. Mit den Kleinen aus zwei Häusern wollte ich dann am letzten Tag auch noch Plätzchen und Pizza backen. Nun gut, da hatte ich mir ja mal wieder etwas vorgenommen. Typisch 😉
Bis zu den Geschäften im Ort Salcaja waren es vom Kinderheim gut 30 Minuten – und das Heim lag auf einem Berg. Aber gut, die Zutaten für Plätzchen und Pizza mussten aber nun mal besorgt werden und auch ein Sportfest macht ohne Präsente wenig Spaß. Beim Einkauf halfen mir einige der Großen aus dem Heim. Somit konnten wir mit einem Englisch-Spanisch Mix auch kommunizieren. Da wir nicht alles mit einmal tragen konnten und immer wieder noch Dinge fehlten, hieß es also diesen Weg mehrfach laufen. Das Laufen war aber auch weniger das Problem – die Dinge auch alle zu bekommen eher. Die Rezepte, die ich hatte (ohne geht mit meinem Backtalent leider gar nichts), waren natürlich alle aus Deutschland. Nicht alle Dinge gab es aber in diesem Örtchen – also musste improvisiert werden. Aber wen störte es? Ich glaube eigentlich nur mich als kleinen Perfektionisten 😉
Insgesamt war das Wochenende ein Erfolg. Angefangen von den Vorbereitungen, das Sportfest und auch die Backaktionen. Aus wessen Sicht ein Erfolg? Von beiden Seiten. Die Kinder hatten Spaß, Geschenke, Abwechslung, bisher nicht gekannte Weihnachtsplätzchen, eine geliebte Pizza und haben sich sichtbar gefreut und bedankt … und auch ich hatte meinen Spaß, habe mein Spanisch verbessert und viel über Land und Leute kennengelernt. Ich war froh, dass ich mich in das kleine Abenteuer gestürzt hatte.
Unterstützung wird überall benötigt, man muss nur die Augen offen halten. Es muss auch nicht zwangsläufig im Ausland oder die große Taten sein. Auch direkt vor der Haustür wird Hilfe benötigt und ein offenes Ohr und etwas Zeit sind häufig schon viel wert. Also Augen auf und auch für sich selbst mal aus dem Alltag ausbrechen 🙂
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Dieser Gastbeitrag von Tino ist ein Teil des Funkloch Adventskalenders 2015, bei dem Reisende über “Gute Taten” berichten.
Eine Übersicht aller Adventskalender-Beiträge findet ihr hier.
Wenn du mehr über Tinos Weltreise während seines Sabbaticals erfahren möchtest, wäre sein Video zu Weihnachten aus dem letzten Jahr, in dem er sich für all die tollen Erfahrungen bedankt, ein verdammt guter Einstieg.
kati
8. Dezember 2014, 8:27sehr inspirierender beitrag – danke dafür!