Die Vogesen. #francenature 1/5

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4 Okt

Die Vogesen. #francenature 1/5

4. Oktober 2015

Etwas mehr als zwei Wochen reiste ich mit Kumpel Jonas durch Frankreich, ehe ich ihn am Flughafen von Nizza absetzte, ein paar hundert Kilometer westlich zwei befreundete Blogger einsammelte (der Dritte trieb unvorhergesehener Weise noch in einem Segelboot auf dem Atlantik) und mit Ihnen die letzten Etappe meiner Frankreichreise beschritt. Knapp drei Wochen war ich unterwegs in fünf Regionen Frankreichs: Auf der Suche nach den besten Reisemöglichkeiten in der Natur. In den folgenden fünf Episoden erhältst du Einblicke in die fünf Regionen, die ich bereisen durfte.
Heute: Vogesen
Bald: Eure et Loir, Cannes, Cote d´Azur und Lozère


Vogesen
Vogesen-Sonne
Voges-en-Marche
 
„Wisst ihr warum die Vogesen so runde Hügel haben?“, wollte Claude wissen und grinste dabei etwas schelmisch, als wir auf einem Hügel in den Südvogesen standen. Ehrlich gesagt hatte ich mir darüber auch schon einige Gedanken gemacht, denn meine Zeit in den Alpen Österreichs lag noch gar nicht so weit hinter mir. Ich tippte auf die Eiszeit und während ich mich noch darin versuchte mich an den Geologieunterricht vor zehn Jahren zu erinnern, sprach Jonas unserer Vermutung etwas gelangweilter aus, als ich es vermutlich getan hätte.
Doch Claude, der zum Verein Vosges en Marche gehört, verneinte und meinte im Folgenden
„Sie wurden von einer griechischen Göttin, die es hier so unglaublich schön fand, „ plattgelegen.“
Ich verstand Claudes Grinsen über beide Ohren und musste nun auch lachen. Zwar hatte ich etwas mehr geologischen Hintergrund erwartet, aber mit dieser sympathischen Anekdote gab ich mich gerne zufrieden. Irgendwie passte sie zur Region und zu den Bewohnern, die immer ein freundliches Wort oder eine muntere Anekdote für uns übrig hatten.
Geschichte Vogesen Hügel

André, Präsident von Voges en Marche (l.), Claude, ehemaliger Deutschlehrer und unser Übersetzer (m.) und Jonas (r.)

 

Wir lebten in den Vogesen fast Tag und Nacht in der Natur. Wir wanderten, spazierten, fuhren Rad und legten nur die weiteren Strecken mit dem Auto zurück. Dabei entdeckten wir regionale Produkte vom Brennnesselhof, der hauseigenen Wiese, der Schnapsbrennerei oder der Glasproduktion im Rekordtempo. Alles was die Vogesen (fr. Vosges) ausmachen, wollten wir kennenlernen und uns über diese Gegend, ganz Nahe an der deutschen Grenze kundig machen.
In den wenigen Tagen in den Vogesen sammelte ich so viele Eindrücke, dass ich trotz oder gerade wegen meiner vielen Notizen und Erlebnisse große Mühe hatte die Region treffend zu beschreiben. Natürlich könnte man die Vogesen mit Phrasen wie Natur pur, natürliche Oase oder Abschalten im Grünen beschreiben. Aber mit diesen einseitigen Aussagen würde man den Vogesen wohl nicht gerecht werden. Sie wären viel zu einseitig, zu monoton, ja fast gleichgültig. In den Vogesen schwang viel mehr Lebensgefühl mit, viel mehr Ehrlichkeit und viel mehr Herzlichkeit. Stets wurden wir wie Freunde aufgenommen und wie alte Bekannte umsorgt. Von den deutsch-französischen Sticheleien war kaum etwas zu merken, auch wenn ich es mir an einer Stelle nicht verkneifen konnte zu erwähnen, dass wir die Franzosen bei der letzten Fußball WM im Viertelfinale aus dem Turnier gekickt hatten.
 

Brennnesseln, Kirschschnaps und Stutenmilch aus den Vogesen

Einer unserer ersten Stopps des Anreisetages führte uns zum Bauernhof Le Clos Lery von Nicole. Seit einigen Jahren bietet sie hier Ferien auf dem Reiterhof mit mehrtägigen Ausflügen in die Natur an. Besonders Kinder sind auf ihrem Hof sehr gerne unterwegs und entdeckten das Leben abseits der Stadt. Mit den Brennnesseln, die besonders gerne in der Nähe von Pferdemist wachsen, erlangte Le Clos Lery den Ruf des Brennnesselhofs. Brennnesselsirup, -salz und -gewürze, -eis, -gelee, -pasta, -essig – Fast alles kann Nicole aus Brennnesseln herstellen oder mit ihnen verfeinern. Das Treffen mit ihr hatte solch einen Einfluss, dass ich seitdem nicht mehr an Brennnesseln vorbeigehen kann, ohne sie zu bestimmen. Wir lernten nämlich auch, wie sich die männliche Pflanze (grüner Stängel) von der weiblichen Pflanze (violetter Stängel) unterscheidet. Neben den optischen Merkmalen ist es ganz wie bei den Menschen. Die weiblichen Pflanzen sind viel nachtragender und brennen bis zu drei Tage, wohingegen der Schmerz nach dem Berühren einer männlichen Pflanze schon nach drei Stunden nachlässt.
Kräuter Vogesen
 
Mit diesem Wissen konnten wir auch in der Destillerie Paul Devoille punkten, als wir den hauseigenen Kräutergarten vor der Besichtigung der Schnapsbrennerei besichtigten. In Fougerolles werden nämlich die bekanntesten französischen Kirschschnäpse gebrannt. Die Kirschen stammen dabei fast größtenteils aus der Region, wohingegen die Zutaten für die anderen Schnäpse aus dem ganzen Land kommen. Fougerolles war einst die größte schnapsproduzierende Stadt Frankreichs. 80 Prozent des Umsatzes resultierte dabei aus dem Verkauf von Absinth, der bis in die letzten Winkel des Landes geliefert wurde. Als Absinth im Jahr 1915 wegen seiner halluzinierenden Wirkung, weswegen sich Van Gogh wohl auch sein linkes Ohr abgeschnitten haben soll, verboten wurde und die folgenschwere Absinthkrise begann, war der Ruhm Fougerolles besiegelt.
Heute brennen die Brennereien, wie die Destillerie Paul Devoille hochprozentiges aus allerlei Früchten. Und während mir am frühen Morgen schon im Dachgeschoss der Brennerei an den gebrannten Gerüchen von Mirabelle, Kirsche, Himbeere, Pflaume, Gin, Erdbeere, Aprikose, Johannisbeere und Heidelbeere ganz schummerig wurde, so wurde mein Gefühl der Heiterkeit von der Tatsache gebrochen, dass man ganze 10 kg Kirschen für eineinhalb Liter 50%-prozentigen Kirschschnaps benötigt.
Zugegebenermaßen ist das beim Kirschschnaps noch eine positive Rechnung, da ich die Früchte eh nicht sonderlich mag. Aber 10 kg Himbeeren würde ich wohl nicht für lausige eineinhalb Liter Schnaps hergeben.
Chalot
Schnapsbrennerei
 
Bomb Distillerie Devoille
Und wie viel 10 kg sind, wenn man mit den eigenen Händen erntet, stellte ich ein paar Tage später fest. Wir waren bei Voges en Marche untergebracht und erkundeten mit Hervé die Wiesen vor der Tür. Auf einen Notizzettel hatte er die französischen und deutschen Namen von diversen Kräutern geschrieben, die wir für das Mittagessen sammelten. Auf dem Zettel, den wir permanent in unseren Hosentaschen suchten und den niemand eingesteckt haben wollte, standen Kräuter wie Sauerampfer, Spitz- und Breitwegerich oder wilder Majoran, die ich allesamt von ausgiebigen Spaziergängen mit meinem Opa kannte. Erd-Efeu, Wiesenkönigin oder Kümmel waren mir jedoch unbekannt. Natürlich kannte ich die Samen des Kümmels. Doch wie er auf einer Wiese, zwischen all den anderen Kräutern, zu erkennen war, wusste ich mit keiner Faser meines Gehirns.
Nach etwa eineinhalb Stunden auf den Wiesen vor dem Haus hatten wir genug Kräuter gesammelt, um Brennnesselaufstrich, Schafgabe-Risotto und Erd-Efeu-Aperitifs vorzubereiten.
Mal wieder erkannte ich wie viele Kräuter direkt vor unserer Haustür wachsen und wie wertvoll sie sind, wenn wir sie denn erkannten und von anderen Pflanzen unterscheiden konnten. Meine ganze Frankreichreise würde ich davon zehren und meinen Begleitern permanent erzählen welche Kräuter ich gerade am Straßenrand gesehen hatte und wie ich sie zubereiten könnte.
Kräuterliste
Kräuter-im-Korb
Kräuter-sammeln

Hervé, ich, Claude und Jonas (v.l.n.r.)

 
Kräuterbuch
Kräuteressen
Stutenmilch war hingegen etwas, was ich nie erwartet hätte überhaupt einmal in meinem Leben zu probieren. In Eschviller (Nordvogesen) besuchten wir den ersten französischen Bauernhof, der die Milch der Stuten in gefrorenem Zustand, als gefriergetrocknetes Pulver oder als weiterverarbeitete Creme oder Duschgel verkauft.
Zunächst war mir gar nicht wohl bei dem Gedanken auf Pferde zu treffen, die zwei bis drei Mal täglich wie Kühe gemolken werden und vermutlich ähnlich große Euter hätten. Doch zu meiner Beruhigung stellten wir fest, dass es sich bei dem Bauernhof primär um einen Pferdezuchtbetrieb handelt. Die Stutenmilch wird dort ausschließlich von Pferden gewonnen, die in dem jeweiligen Jahr auch ein Fohlen zur Welt gebracht haben. Sobald das Fohlen die Stutenmilch nicht mehr braucht, wird die Milch im Anschluss noch wenige Wochen der Stute entledigt. So resultiert eine möglichst nachhaltige Produktion, mit geringem Stressfaktor bei den Tieren. Besonders kurios ist an diesem Vorgehen das Modell der Planwirtschaft. Schon im Vorjahr müssen die benötigten Mengen an Stutenmilch geplant werden. Wird mehr Milch benötigt, werden mehr Stuten gedeckt.
 Pferdehof
 

Unterwegs in den Vogesen

Trotz der runden Hügel, sind die Anstiege in den Vogesen nicht zu unterschätzen. Und auch wenn uns einige Rennradfahrer schief beäugten und uns Blicke zuwarfen als würden wir mogeln, so genossen wir es einige Tage mit den E-Bikes unterwegs zu sein. Ich hatte schon im letzten Jahr gemerkt wie sehr ich das E-Bike im bergigen Gelände liebte. Es ermöglicht das geräuscharme und sanfte Erleben der Natur für fast Jedermann.
Rad_fahren_Vogesen
Fahrrad_Ebike
Und ansonsten waren wir natürlich auch viel zu Fuß unterwegs. Wir erwanderten einige Hügel und Städte, waren auf der Suche nach einer Wasserquelle und freuten uns über ornithologische Spaziergänge sowie jede Sekunde, die wir nicht im Auto verbringen mussten.
Felsen
Erwähnenswert bleibt außerdem noch die erstklassige Aufbereitung von Museen in den Vogesen. Das muss ich, als alter Museumsmuffel, unbedingt noch ausführen.
Während die Geschichte der Absinthhochburg Fougerolles im Freilichtmuseum Ecomusée du pays de la cerise in den alten Wirkungsstätten erstklassig in den Südvogesen nachempfunden werden kann, wird sie in der Zitadelle von Bitche im Teil der Nordvogesen miterlebbar. In der Zitadelle wird ein, in mehrere Szenen aufgeteilter Spielfilm gezeigt, der in der Zitadelle gedreht wurde und die Geschichte des deutsch-französischen Krieges kurzweilig und super spannend erzählt. Primär geht es dabei um die Zitadelle als uneinnehmbare Festung.
Citadelle JC Kanny

Copyright by JC Kanny

 
Der Besuch der Zitadelle und die Vermittlung der Geschichte über einen Spielfilm ist das absolut Genialste, was ich bisher an einem so historischen Ort erleben durfte. Noch nie machte es mir so viel Spaß Geschichte zu verstehen. Sicherlich fehlt dir jetzt beim Lesen dieser Zeilen das Verständnis für meine Begeisterung. Doch, wenn du die Zitadelle einmal besucht hast, wirst du mich sicher verstehen.
Wenn du die Vogesen mal besucht hast, dann wirst du auch meine Freude an den regionalen Produkten aus den Vogesen verstehen. Du wirst verstehen, dass die Menschen hier nichts produzieren um ihr Hab und Gut zu vergrößern. Nein, sie machen es aus einer inneren Überzeugung, weil es Ihnen Spaß macht und weil sie es genauso lieben wie du Natur selbst.
 
 
 


 
Meine Reise durch Frankreich wurde in erster Linie von Atout France unterstützt und ermöglicht. Außerdem durfte ich auch auf die Unterstützung zahlreicher regionaler Unternehmen zählen. Ziel der Reise war es Eindrücke über Reisen in der Natur Frankreichs zu sammeln.
Impressionen und Ergebnisse präsentiere ich am 29. Oktober im Workshop Natur- und Aktivreisen in Frankfurt am Main.
Meine Meinung wurde durch das Sponsoring nicht beeinflusst und bleibt meine eigene.
 

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Steven Hille

Steven ist der Autor des nachhaltigen Reiseblogs Funkloch. Irgendwann dachte er sich, dass er nur noch Projekte realisieren sollte, die einen guten Nutzen haben. Aus dieser Idee heraus sammelte er Spenden für ein Tigerbaby, unterstützte ein nationales Bienenprojekt, baute einen Brunnen in Uganda und gründete mit Freunden die NGO WeWater, die sich für sauberes Trinkwasser einsetzt.

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