Sauberes Trinkwasser für die Welt: Energiefreie Wasseraufbereitung
Nach Angaben der Welthungerhilfe konsumieren 663 Millionen Menschen jeden Tag verschmutztes Wasser, das krank machen kann. Die Dimension dieses Problems können wir hier in Europa kaum erfassen. Wasser in Trinkwasserqualität fließt bei uns direkt aus dem Wasserhahn. Wir können uns damit waschen, es zum Kochen verwenden oder es einfach direkt und unfiltriert trinken.
Wie wichtig sauberes Wasser ist, stellte ich während meines Brunnenprojektes in Uganda fest. Die Menschen im Dorf Nandere hatten damals nur einen begrenzten Zugang zu Wasser. Durch ein Projekt mit Technik ohne Grenzen e.V. und eure Spenden konnte damals ein neuer Brunnen gegraben werden.
Unsere Brunnenbauertagebücher können hier nachgelesen werden, eine ausführliche Zusammenfassung mit Bildern und Videos befindet sich auf thetravelepisodes.com.
In Nandere hatten wir damals das Glück, dass das Grundwasser eine erstklassige Qualität besaß. Doch es gibt auch diverse Regionen in der Welt, in denen ausreichend Wasser vorhanden ist, es aber wegen seiner schlechten Qualität nicht genutzt werden kann. Und da kommt die Idee von Ulrich Weise ins Spiel.
Maschinenbau, die Wasserbranche und eine Vision
Ulrich Weise studierte Maschinenbau an der TU Darmstadt und arbeitet seit 1992 in der Wasserbranche. Die Aufbereitung von Schmutzwasser ist seit über 25 Jahren sein Alltag. Er betreute den Bau von Kläranlagen und installierte Wasseraufbereitungsanlagen für die Industrie und den Tourismus.
Im Jahr 2000 gründete er sein erstes Unternehmen, mit dem er den patentierten Microclearfilter produzierte, mit dem Abwässer bis heute gereinigt werden können. Ulrich Weise erklärt mir, dass eine vereinfachte Kläranlage aus drei Bestandteilen besteht:
– Rechen – dort wird der grobe Dreck aus dem Wasser gefiltert
– Belebungsbecken – Bakterien und Mikroorganismen bauen mit Hilfe von Sauerstoff den Schmutz aus dem Wasser ab
– Nachklärbecken – der Klärschlamm wird vom sauberen Wasser getrennt
An Stelle des Nachklärbeckens kommt bei Weises früherer Unternehmung der Microclearfilter zum Einsatz. Er reduziert den Platzbedarf eines Nachklärbeckens und trennt das saubere Wasser vom Klärschlamm. Das ist beispielsweise in der Kreuzfahrt relevant, da auf einem Kreuzfahrtschiff nicht genug Platz für ein Nachklärbecken ist. Aber auch andere Abwässer aus der Industrie können mit der Technologie gereinigt werden.
2014 verkaufte Ulrich Weise sein Unternehmen an die newterra Ltd. mit Sitz in Kanada.
Die folgenden zwei Jahre widmete er seiner großen Vision. „Jedes Abwasser kann unter Einsatz von Energie gereinigt werden“, erklärt er mir. Seine Herausforderung lag darin ein System zu entwickeln, das Trinkwasser herstellen kann, ohne elektrische Energie einzusetzen. Und das ist ihm im letzten Jahr gelungen.
AQQAbag als Prototyp
Bei der Entwicklung seiner vom EFRE geförderten Innovation hat er es sich nicht einfach gemacht. Er wollte ein System entwickeln,
– das einen besonders hohen Rückhalt garantiert,
– bezahlbar ist
– und sich selbst reinigt.
Und schließlich sollte es auch noch ohne elektrische Energie funktionieren. Also verbrachte er zwei Jahre im Keller seines Hauses in Berlin-Spandau und werkelte an seiner Idee. Er tüftelte, probierte am Ufer der Havel viel aus und bildete sich in Biologie, Physik und Chemie, denn seine Unternehmung hatte nicht mehr viel mit seinem Maschinenbaustudium gemeinsam.
Während dieser Zeit arbeitete er mit einem Labor in Florida zusammen. Unter den Vorgaben der United States Environmental Protection Agency wurde vor jedem Test das „optimale“ Schmutzwasser kreiert, um Weises Filter zu testen. Seine Mühe zahlte sich aus. Heute ist er in der Lage Schmutzwasser von Schwermetallen, Pestiziden, Medikamentenresten und Hormonen zu reinigen und 99,99999 % der Bakterien und Viren aus dem Wasser zu filtern.
Sein Prototyp einer Wassertüte ist die AQQAbag. In die 5-l-Filtertüte wird von oben verunreinigtes Wasser eingefüllt. In der Mitte der Tüte befindet sich ein Mikrofilter. Dieser übernimmt die erste Filterstufe und filtert Schmutzpartikel, Schwermetalle, aber auch Bakterien und Viren aus dem Wasser. Ulrich Weise gesteht, dass er selbst immer wieder begeistert ist, wenn das Wasser durch den mikroskopischen Filter läuft.
Danach kann je nach Verschmutzungsgrad ein Aktivkohlefilter das System ergänzen.
Im letzten Schritt der Reinigung wird das Wasser in einen kleinen Behälter geleitet. In dem Behälter ist ein Netz, das mit einem Titandioxidpulver behandelt ist. Es reagiert mit Hilfe des Sonnenlichtes und erzeugt oxidierende Substanzen, die Viren und Bakterien im Wasser unschädlich machen. So erhält das System seine große Rückhaltewirkung von 99,99999 %.
Während meiner Arbeit mit Technik ohne Grenzen e.V. bin ich damals auch auf den Wasserfilter PAUL gestoßen. Bei der Recherche stelle ich fest, dass die Rückhaltewirkung des Wasserfilters etwas schlechter als beim AQQAbag ist. Auch PAUL funktioniert ohne elektrische Energie, kann aber nicht die gleiche Wasserqualität liefern.
Der AQQAbag ist als Notlösung gedacht, wenn es keine andere Möglichkeit gibt Trinkwasser aufzubereiten. Man kann das System beim Campen dabei haben, aber auch in Entwicklungsländern nutzen. Alle 6 Monate sollte, je nach Verschmutzung, die Filterplatte gereinigt werden. Geschieht das regelmäßig, kann das System 10 Jahre genutzt werden. Auch der Preis ist moderat und beträgt schätzungsweise 20 bis 30 Euro pro Stück.
Und so funktioniert der AQQAbag
Die Zukunft der Wasserversorgung
Nach dem Termin mit Ulrich Weise in Hennigsdorf und der Vorstellung seiner Produkte der Weise Water GmbH bin ich sprachlos. Ich bin begeistert von der Idee und dem hohen Potential des Produktes. Weise will es nicht bei den Wassertüten belassen. Viel eher will er Systeme produzieren, die ganze Dörfer versorgen. Dafür muss er das System der Tüte aufbrechen und vergrößern. Im AQQAcube befinden sich mehrere Filterplatten, die in kürzerer Zeit mehr Wasserdurchlauf haben und mehr Wasser filtern können.
Aufgrund der langen Nutzungszeit und dem energiefreien Betrieb kommt es mir vor, als hätte Weise ein Perpetuum mobile der Wasserreinigung erfunden. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass du an dieser Stelle nicht das letzte Mal von Weise, der AQQAbag und seiner Vision gelesen hast.
Gefördert wurde Ulrich Weise vom Programm „Gründung innovativ“ des EFRE. Außerdem hat er die Beratung von „Innovationen brauchen Mut“ des ESF in Anspruch genommen und wurde im Vertrieb geschult.
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Mein Besuch in Hennigsdorf bei Ulrich Weise war Teil einer vierwöchigen Fahrradtour durch Brandenburg, auf der ich mir EU-geförderte Projekte angesehen habe. Über das energieautarke Dorf Feldheim, die Wildsamenzüchter von Jänschwalde und das Leitsystem für Wassersportler im Naturpark Stechlin-Ruppiner Land habe ich hier im Funkloch ja bereits berichtet.
Auf brandenburg-da-geht-was.de habe ich über die vielen anderen Erlebnisse, geförderte Projekte und Unternehmungen berichtet. Schau doch mal vorbei.
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