Meereskunde beim Strandfischen in der Bretagne
Strandfischen in der Bretagne in Frankreich
Als wir früher unsere Sommer in Brandenburg verbrachten, ging ich gerne mit zum Angeln an den See. Wir präparierten unsere Angelrouten, entwickelten die verrücktesten Fangtheorien und ließen letztendlich die Angelhaken unter Wasser. Genau in diesem Moment endete für mich stets der Spaß. Rumsitzen? Warten bis sich etwas tut? Nicht mit mir. Entsprechend ungern war ich als Gast bei anderen Anglern gesehen.
Es musste doch eine Angeltechnik geben, bei der man etwas zu tun hatte, grübelte ich damals. Jemand brachte mir das Blinkern bei. Daran störte mich, dass es wie Glückspiel war. Kein einziger Fisch fiel jemals auf meinen Blinker herein. Hatten die Raubfische meinen Blinker im Ziestsee überhaupt gesehen? Es muss doch eine Möglichkeit geben, die Fische unter Wasser zu beobachten, grübelte ich erneut. Doch ehe ich auf die Idee kam mir ein Echolot anzuschaffen, war mir die Lust am Angeln vergangen.
Irgendwann las ich, dass man in der Bretagne in Frankreich am Strand spazieren und Strandangeln könnte. Und genau dort fängt die heutige Geschichte an.
Lieber fernsehen statt lesen? Den Tag beim Strandfischen gibt’s auch als Video.
Wenn dir das Video gefallen hat, dann abonniere meinen Kanal. Vielen Dank!
pêche à pied – Strandangeln in der Bretagne
Es knackt, ploppt und quietscht. Die Ebbe legt den Meeresboden frei. Es vergehen kaum Sekunden, in denen es komplett ruhig ist. Hier, vor der Île Thinic, beginnt die wilde Küste von Quiberon – ein Abschnitt voller mächtiger Meeresströmungen, gewaltigem Seegang und wunderbarer Felsformationen. Doch an eine stürmische See ist gerade nicht zu denken. Der Atlantik macht Pause. Der Meeresgrund atmet durch.
Sand, Steine und mit Algen bewachsene Felsen werden freigelegt. Seit Jahrtausenden das gleiche Spiel: Alle 25 Stunden gibt es zweimal Niedrigwasser und zweimal Hochwasser. Schon merkwürdig. Unser Tag hat 24 Stunden, die Gezeiten wiederholen sich alle 25 Stunden. Das führt dazu, dass sich kaum jemand merken kann, wann denn nun Hoch- und wann Niedrigwasser herrscht. Die Einwohner des Nordwestzipfels Frankreichs sind eng mit der Natur und dem Meer verbunden. „Das Meer gibt und das Meer nimmt“ habe ich in den letzten Tagen öfter gehört. Viele Bretonen tragen stets einen Gezeitenkalender bei sich.
Ich mustere Mélanie. Sie ist etwas gehetzt. Ihr Kind liegt krank Zuhause. Dennoch ist sie aufgebrochen, um Meereskunde mit einer Schulklasse zu unterrichten. Wir schließen uns der Klasse an. Mélanie redet schnell. Ich verstehe kaum ein Wort und bin mir sicher, dass ich sie auch nicht verstehen würde, wenn sie deutsch sprechen würde. Grüne Gummistiefel hat sie über ihre Jeans gezogen. Damit balanciert sie über die rutschigen Felsen wie eine Leichtathletin über den Schwebebalken. Ihre Schrittfolge ist fast melodisch und erinnert mich mit kurz – kurz – lang – kurz – kurz – lang an „We will rock you“ von Queen.
An die Schüler verteilt sie einige Eimer. Sie haben den Auftrag allerlei Lebewesen zu sammeln. Diese braucht sie für später, weil sie auf Basis der Tiere einiges erklären möchte. Die Schüler strömen aus. Sie sind auch nicht viel besser ausgestattet als wir. Schon nach wenigen Minuten haben die ersten nasse Füße. Da fällt Mélanie etwas ein. Sie ruft der Gruppe nach „Denkt bitte daran, alles so zu hinterlassen, wie ihr es vorgefunden habt. Und bitte dreht auch von euch umgedrehte Steine wieder um“. Mir wird mehr und mehr klar, dass das hier kein gewöhnliches Strandfischen ist.
„pêche à pied“, wie die Gezeiten-Fischerei auf französisch heißt, ist in der Bretagne beliebt. Mit kleinen Eimern, Schaufeln und Gummistiefeln ausgestattet, zieht es viele Franzosen ins Watt. Dort herrscht das Jedermannsrecht. Jeder darf Strandfischen gehen und für den eigenen Bedarf Austern, Miesmuscheln, Herzmuschel, Jakobsmuscheln und viele weitere Meeresfrüchte sammeln. Wichtig dabei ist es jedoch sich an die aktuellen Regelungen zu halten. Darüber informiert unter anderem pecheapied-responsable.fr. Auf legifrance.gouv.fr findet man eine Auflistung mit Mindestgrößen. Eine Miesmuschel (moule) muss demnach mindestens vier Zentimeter groß sein, eine Auster (huître) mindestens sechs Zentimeter. Beachtet man diese Regelungen nicht, können hohe Bußgelder fällig werden.
Doch heute ist alles anders. Wir sind keine richtigen Strandfischer, wir sind auf Exkursion. Behutsam schauen die Schüler unter Steinen, wühlen in Meerwasserpfützen und durchsuchen Algengebüsche. Immer mehr Meerestiere landen in den mit Wasser gefüllten Eimern.
Von chinesischen Hüten und Meeresanemonen beim Strandangeln in der Bretagne
Mit einem kleinen Messer löst Mélanie eine Muschel mit dem Namen Chinesischer Hut von einem Felsen. Die kleine Muschel ist außen hart, in der Innenseite liegt sie ungeschützt frei. Mélanie erklärt, dass die Muschel ausschließlich Algen frisst. Sie saugt sich an den Felsen fest und wandert immer richtig Nahrung.
Wir balancieren weiter über die feuchten Felsen. Mélanie findet eine Miesmuschel. Sie nennt die Miesmuschel liebevoll den „Wasserfilter des Atlantiks“. Bis zu 25 Liter Wasser filtern Miesmuscheln pro Stunde. Dabei nehmen sie vor allem Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor auf. Wissenschaftler forschen daher schon seit langem daran Muscheln in Flussmündungen einzusetzen, um die hohen Konzentrationen der Überdüngung der Landwirtschaft aus den Gewässern zu filtern. Für Strandfischer bedeutet das, dass Strandfischen nur in absolut sauberen Küstenabschnitten betrieben werden sollte.
„Eine Auster filtert etwa 12 bis 15 Liter je Stunde“, erklärt Mélanie und macht eine von einem Stein ab. Frisch geöffnet bietet sie mir die Auster zum Probieren an. Das lasse ich mir nicht entgehen. „Ja geil. Salzig, frisch, aber nicht sonderlich anders als im Restaurant – nur wahrscheinlich mehrere Stunden frischer.“ ist meine spontane Reaktion vor laufender Kamera. Einen großen Unterschied zu den Austern im Restaurant schmecke ich tatsächlich nicht. Schon in den letzten Tagen habe ich einige Austern probiert – auch ohne Zitrone, für den wahren Geschmack des Meeres. Dieses Exemplar war nicht anders. Ich führe das auf die gute Qualität in den bretonischen Restaurants zurück.
Einige Schritte weiter hält mir Mélanie eine kleine feste Alge unter die Nase. Die Pfefferalge schmeckt zwar nicht nach Pfeffer, aber würde sich bestimmt ganz wunderbar als würzige Beilage in einem Salat machen. In der Bretagne werden so viele Algen wie nirgends sonst in Europa geerntet. Über 70.000 Tonnen werden aus dem Atlantik geholt. Darunter sind auch bekannte Vertreter der Algenfamilie, wie zum Beispiel die Nori-Alge, die als Mantel von Sushi verwendet wird. Besonders praktisch bei der Algenernte ist im Vergleich zum Pilze sammeln, dass alle Algen-Arten ungiftig sind.
Als ich mich wieder zu Mélanie drehe, hat sie bereits das nächste Tier auf ihrer Hand: Eine rote Meeresanemone. Sie frisst kleine Fische. Sobald sich die potentielle Nahrung nähert, wird sie durch ein Gift getötet. Danach hat die Meeresanemone leichtes Spiel. Sie zieht die Nahrung unter sich und beginnt mit dem Fressen. Mélanie legt die Meeresanemone wieder auf einen Stein. Wir treffen uns auf der Île Thinic mit den Schülern.
Dort zeigen die Schüler was sie gefunden haben. Mélanie erklärt jedes Lebewesen, ordnet die Tiere in ihre biologische Systematik ein und beantwortet Fragen. Am Ende der Exkursion wird ein Spiel gespielt. Jeder Schüler stellt ein Lebewesen der Nahrungskette Meer dar.
Anfänglich steht dort eine kleine übersichtliche Reihe von Schülern. Plankton – Krabbe – Möwe. Doch je mehr Tiere sich zu der Nahrungskette gesellen, desto mehr wird aus der Kette ein kleines Knäul. So gibt es Lebewesen, die mehrere andere Lebewesen fressen und auch mehrere natürliche Fressfeinde haben. Am Ende der Nahrungskette steht der Mensch.
Doch was passiert durch zu viele Chemikalien im Wasser? Mélanie löst den Schüler, der das Plankton darstellt ab. Er kann sich setzen. Innerhalb von wenigen Sekunden wird den Schülern klar, dass so die ganze Nahrungskette auseinanderfällt und der Mensch in Zukunft nicht mehr vom Meer leben kann. „Dann esse ich eben Schwein oder Rind.“, sagt einer der Schüler mit einer seltsamen Mischung aus Humor und Trotz.
_
Meine Reise durch die Bretagne wurde von Tourisme Bretagne unterstützt und ermöglicht. Außerdem durfte ich auch auf die Unterstützung zahlreicher regionaler Unternehmen zählen. Ich danke für diese Möglichkeit und garantiere, dass meine Meinung von der Einladung nicht beeinflusst wurde.
Pingback: Kajak-Tour im Golf von Morbihan in der Bretagne - Funkloch
17. Juni 2019, 22:29