Die Reise ins Glück

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6 Jun

Die Reise ins Glück

6. Juni 2015

von Johanna Matthes

Schaut man an einem grauen Tag in die Gesichter der Deutschen in der U-Bahn, muss man sich schon sehr anstrengen nicht auf der Stelle in dunkle Gedanken zu verfallen. Oft habe ich das Gefühl, die Menschen haben verlernt zu lächeln. Kurz gesagt: Uns springt das Glück nicht gerade aus dem Gesicht. Da kommt eine Reise doch ganz gelegen, um der ganzen Negativität zu entfliehen und den „Positive-Energie_Speicher“ mal wieder aufzufüllen.
Wonach sucht ihr eure neuen Reiseziele aus? Schöner Strand? Interessante Kultur? Wilde Natur? Schmackhafte Gastronomie? Das ist schön und gut aber warum nicht einfach mal dahin reisen, wo die Menschen am Glücklichsten sind? Eigentlich sehr logisch denn Reisen soll Spaß bereiten und uns glücklicher machen und wenn die Menschen, die man im jeweiligen Land trifft genau das repräsentieren – perfekt!
Doch wo sind die Menschen am Glücklichsten? Dort wo sie am meisten Geld haben? Dort wo alle Arbeit finden? Dort wo es die größten Familien gibt? Dort wo sie die schönste Natur haben?

Eine Studie über das Glück

Der World Happiness Report soll uns verraten, in welchen Ländern die glücklichsten Menschen anzutreffen sind. Es handelt sich um eine Studie, die seit 2012 unter anderem von Experten auf Gebieten wie Psychologie, Ökonomie, Gesundheit, und Politik durchgeführt wird. Veröffentlicht wird der jährliche Bericht von dem Wissenschaftler-Netzwerk SDSN, Auftraggeber ist die UN. Der Bericht wird nicht zum Spaß erstellt. Durch die erhobenen Daten soll die nachhaltige Entwicklung eines Landes vorangebracht werden. Das bedeutet eine ausgeglichene Balance ökonomischer, sozialer und ökologischer Ziele. Der Report reflektiert außerdem, dass weltweit mehr und mehr auf das Glück der Einwohner geachtet wird, wenn es um die Regierungspolitik geht.
 
 

Das Bruttonationalglück

Das macht das Land Bhutan übrigens schon seit einer Weile. In den 80er Jahren hat Jigme Singje Wangchuk – der damalige Monarch von Bhutan – dem Land Glück verordnet. Genauer gesagt: die Steigerung des Bruttonationalglücks. Auf der offiziellen Website des Bruttonationalglücks steht: „Das Bruttonationalglück ist wichtiger als das Bruttoinlandsprodukt. Das Verständnis dafür, was es braucht, um Menschen glücklich zu machen ist unerlässlich in unserer Gesellschaft“ (frei übersetzt). Seit 2008 ist das Land demokratisch und die Regierung folgt weiterhin der Glücksphilosophie. Das muss ein westlicher Kapitalist erst einmal sacken lassen. Was soll das? Wie geht das?
Das Bruttonationalglück basiert auf neun Bereichen (frei übersetzt): psychologisches Wohlbefinden, Gesundheit, Bildung, Zeitnutzung, kulturelle Vielfalt und Stabilität, gute Regierung, Kraft/Vitalität der Community, ökologische Vielfalt und Widerstandsfähigkeit sowie Lebensstandards. Gemessen wird das Nationalglück mittels des GNH Index (Gross National Happiness Index). Die Regierungsmaßnahmen werden auf das Nationalglück abgestimmt. Klingt irgendwie nach schöner, neuer Welt!

Porsche Borneo flickr Glück

Das glücklichste Land der Welt

Aber kommen wir zurück zum World Happiness Report. Wer nicht nach Bhutan reisen möchte, hat ja sicherlich noch andere Möglichkeiten glückliche Länder zu besuchen. Welche sind das 2015? Ganz oben auf der Liste steht die Schweiz, sie ist angeblich das glücklichste Land der Welt. Dicht gefolgt von Island, Dänemark, Norwegen, Kanada, Finnland, den Niederlanden, Schweden, Neuseeland und Australien. Europa ist also überproportional vertreten. Ähm und Bhutan? Laut dem Bericht ist Bhutan auf Platz 79. Is das nicht ganz schön wenig für ein Land, dessen Regierung sich dem Glück verschrieben hat?
Drei Viertel der „Glücks-Unterschiede“ lassen sich nur sechs Hauptfaktoren zuordnen (frei übersetzt): dem Bruttoinlandsprodukt, der Lebenserwartung, der sozialen Unterstützung (meint jemanden in schwierigen Zeiten an seiner Seite zu haben), dem Vertrauen (das wird durch die wahrgenommene Abwesenheit von Korruption in Regierung und Wirtschaft gemessen), der wahrgenommene Freiheit Lebensentscheidungen zu treffen und der Großzügigkeit (wird durch kürzlich getätigte Spenden gemessen). Die Unterschiede in sozialer Unterstützung, Einkommen und Lebenserwartung sind die drei wichtigsten Faktoren.
 

Kann man Glück wirklich messen?

Natürlich ist Bruttoinlandsprodukt von Bhutan nicht vergleichbar mit dem der Schweiz. Wenn es sich hierbei um einen der wichtigsten Faktoren handelt, dann kann Bhutan nicht mit der Schweiz konkurrieren. Doch kann man Glück wirklich mit Geld messen?
2011 hat die Foundation for Future Studies Daten einer Umfrage veröffentlicht in der unter anderem gefragt wurde, ob die Europäer der Aussage zustimmen „Ich bin glücklich mit meinem Leben“. In der Schweiz, die auf Platz 1 des Happiness Reports ist, haben nur 72 % der Befragten zugestimmt. In Griechenland (Platz 125 im World Happiness Report) dagegen 80 %.
Ich habe keine jahrelange Studie zum Durchschnittsglück (was ein Wort!) in einem Land durchgeführt aber diese Daten zeigen dennoch, wie unterschiedlich die Wahrnehmung von Glück ist. Glück ist etwas sehr individuelles und oft auch flüchtiges. Kann man überhaupt „insgesamt glücklich“ mit seinem Leben sein oder ist man nicht eher „zufrieden“? Das sind philosophische Fragestellungen die eine mathematische Messung enorm erschweren.
Bhutan, das sich angeblich dem Glück seiner Einwohner verschrieben hat, ist unter den Top 25 Ländern mit den höchsten Selbstmordraten der Welt. Wie lassen sich solche Phänomene erklären? Ist ein Schweizer Kind, dass schon früh Erfolgsdruck ausgesetzt wird, wirklich glücklicher als ein Kind in Ghana, das täglich mit seinen Freunden Fußball spielen kann?
Meiner Ansicht nach ist die Messung von Glück enorm schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Denkt mal an Momente, in denen ihr behaupten würdet glücklich gewesen zu sein. Ein Sommernachmittag am See? Ein leckeres Picknick im Familienurlaub? Der erste Kuss? Sind das Dinge, die man messen kann? Und selbst wenn wir sagen: das waren oder sind die glücklichsten Jahre meines Lebens, meinen wir das dann im Verhältnis zum Rest? Und waren wir wirklich glücklich oder nur nicht über einen längeren Zeitraum unglücklich? Nichtsdestotrotz ist die Idee, dass sich Regierungen mehr an dem Glück der Bürger orientieren sollte, großartig! Ob die Messungen jedoch akkurat sind und uns wirklich verraten, wo die glücklichsten Menschen der Welt anzutreffen sind, bleibt zu bezweifeln.
Schlussendlich sind wir Reise-Freudigen doch wieder auf uns allein gestellt, wenn es darum geht Land und Leute zu erkunden. Doch das macht Reisen ja auch aus. Neues entdecken, seinen Horizont erweitern und eigene Erfahrungen sammeln, die nicht von Studien, Umfragen und Berichten geleitet werden.
 
 
(Fotos: Christopher Michel und Porsche Brosseau)

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Johanna

Johanna lebte 2014/15 während ihres Studiums der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation fast ein Jahr in Valencia. Mittlerweile arbeitet sie als New Work- und Digital Transformation Beraterin in ihrer Heimatstadt Berlin und kehrt trotzdem mindestens einmal im Jahr in ihre "2. Heimat" am Mittelmeer zurück. Steven und Johanna kennen sich schon ziemlich lange und deswegen darf sie hier auch ab und zu ihren Senf dazu geben.

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