Mein Kind in Afrika.
von Madlen Brückner
„Highland, Highland…“ schallt es vom Wegesrand in unseren Geländewagen. Fragend schaue ich meinen Freund an, um uns herum ist eher Steppe und karge Hügellandschaft verglichen zu dem Hochland im äthiopischen Norden. Erst als die Kinder hinter uns herrennend gestikulieren und ihre Hand zum Mund führen, fällt mir der Name unseres Wasserproduzenten ein. Ich reiche eine Flasche aus dem Fenster, die anderen Kinder rangeln und schreien. Ich sage, ich habe keine Flasche mehr, doch das ist etwas gelogen. Sie erblicken meine viertel gefüllte Flasche und geben mir zu verstehen, ich solle sie austrinken. Ich frage unseren Guide, was denn die Kinder davon hätten, wenn ich die Flasche vor ihren Augen leeren würde. Schmunzelnd antwortet er, na Deine Flasche! Wie, die Kids wollen meine leere Flasche? Ich kann es nicht verstehen. Doch wir werden auf unserer restlichen Reise alle Flaschen akribisch sammeln und immer wieder Kinder im Süden Äthiopiens damit glücklich machen. Dort, wo jedes Wassergefäß zum Transportieren der Flüssigkeit rar ist, heißt es Highland statt Dollars…
Es sind immer wieder diese Situationen, die mich auf eine gefühlsmäßige Zerreißprobe stellen. Ich war schon viel zu häufig um die Erde gereist, hatte schon viel zu viel Elend gesehen, als ich vor zehn Jahren aus meiner emotionalen Ohnmacht erwachte. Auf fast jeder Reise kam ich in die Situation, in der ich genau hier und jetzt helfen wollte. Wie oft kämpfte ich gegen meine Gefühle, als ich mit dem Kopf schüttelte, um zu signalisieren, dass ich kein Geld bei mir trage. Wo soll man nur anfangen und wohin führt es? Gießkannenprinzip nützt dem einzelnen im dem Moment, am gesamten System ändert es nichts. Doch wie sollte man sich wirklich richtig verhalten? Ich wollte etwas zurückgeben, nachdem mich jede einzelne Reise bereichert hatte.
Außerdem war es mit Ende zwanzig Zeit für ein Kind – ein Patenkind. Land, Geschlecht, Alter – egal. Am Ende war es reiner Zufall, dass sich Janets Weg mit dem meinigen kreuzte. Eine wunderbare Begegnung, die noch heute nachklingt, mit jedem Brief, den ich an Janet schreibe, mit jedem Geschenk, das ich ihr zum Weihnachtsfest schicke. Nicht zuletzt ist es aber ein Projekt, für das Janet Modell steht. Es ist ein Projekt, von dem mehrere etwas haben. Nicht nur Janet, nicht nur ich, sondern die Gemeinschaft… Und ja, ich weiß, dass der Verwaltungsaufwand enorm ist und er viel von diesem Geld verschlingt.
Nur wenige Monate nach Aufnahme einer Patenschaft besuchte ich mein ugandisches Patenkind in Kamuli. Am Morgen des 5. Dezember 2005 traf ich das fünfjährige Mädchen, das ich bisher nur von einem Foto kannte. Ein Mädchen, dessen Schicksal sich durch die fügende Hand von einer Organisation mit meinem Lebensweg genau zu diesem Zeitpunkt kreuzte.
Nach einer 3,5 stündigen Fahrt von Kampala in nordöstlicher Richtung erreichen wir die Projektgegend. Touristen fahren in der Regel nur bis Jinja, wo sich die Nilquelle befindet. In Kamuli gibt es nichts zu schauen und zu erleben. Hier trifft man auf die ungeschönte Realität einer ugandischen Familie, die weitab von Nationalparks, Rafting und Safari liegt.
Von der Hauptstraße gehen immer wieder kleine unbefestigte Wege ab, sie führen scheinbar ins Niemandsland. Hinter einer Wand an üppigen Bananenpflanzen sind diese Häuser nur selten sichtbar. In einem der Häuser lebt Janets Familie. Ihr Vater und ihr Bruder stürmen gleich aus dem Haus und begrüßen uns herzlich. Die Mutter bereitet unterdessen noch die Speisen für uns Gäste vor. Es braucht noch etwas Zeit, bis wir die Familienstruktur durchschauen. Zu viele Leute kommen herbeigeeilt, um uns zu treffen.
Eh wir uns versehen, wird Janet auch schon auf meinen Schoß gesetzt. Kinderblicke können einfach nicht lügen. Glücklich sieht die Fünfjährige nicht aus. Aber was kann ich auch erwarten? Aus den Kinderaugen betrachtet bin ich ihr fremd. Da die Mutter noch immer hinter dem Haus kocht, entschließen wir uns zu einem kleinen Rundgang durch Haus und Garten. Besonders stolz zeigt uns der Vater seinen Garten, der die ganze Familie ernährt. Kartoffeln, Ananas, Bananen und vieles mehr, das Angebot lässt bereits erahnen, was später auf dem Speiseplan steht.
Als wir wieder vor das Haus treten, stehen Stühle und Tische unter einem schattenspendenden Baum. Liebevoll zubereitete Speisen befinden sich auf dem gedeckten Tisch. Bananen, Süßkartoffeln, Nuss-Soße – genau die afrikanischen Speisen, die mir schmecken.
Nach der gemeinsamen Mahlzeit ist es dann auch schon Zeit für Geschenke. Wir haben einiges mitgebracht. Doch schon unser erstes Geschenk, ein Teddybär, sorgt für ein kleines Drama. Denn anstatt in strahlende Kinderaugen zu sehen, bahnen sich Tränen ihren Weg. Ich weiß nicht, was Janet denkt als sie den Teddy sieht. Aber er gefällt ihr definitiv nicht, so dass sie ihn verschenken möchte.
Beim anschließendem Spaziergang durch die Siedlung unterhalten wir uns noch ein wenig mit Janets Vater und Bruder im rudimentären Englisch. Der Vater plant einen eigenen kleinen Laden. Janets Mutter flechtet aus Palmenblättern Matten, die sie verkauft. Der Bruder studiert in Kampala.
Abschließend fotografieren wir uns noch gegenseitig, und dann ist der Trubel für Janet auch schon wieder fast vorbei. Die Mutter gibt uns Jackfrucht, Papaya, Passionsfrüchte, Kartoffeln und Zitronen mit auf den Weg. Alles aus dem eigenen kleinen Garten. Wir sind überwältigt, denn wir wissen, dass die Familie von der Ernte lebt. Der Garten ist der Reichtum, den sie haben.
Mit diesem Bild im Kopf reise ich weiter durch Uganda. An der kongolesischen Grenze treffen wir die Gründer einer kleinen niederländischen NGO. Deren Enthusiasmus steckt mich an. Und so beginne ich mich für ihr Schulprojekt in Uganda zu interessieren und gleich auch zu engagieren. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland gründe ich eine eigene kleine NGO und lerne, das helfen gar nicht so einfach ist. Weshalb ich hier an meine Grenzen gerate und das Projekt scheitert, ist jedoch eine andere Geschichte.
_
Dieser Gastbeitrag ist ein Teil des Funkloch Adventskalenders 2015 bei dem Reisende über “Gute Taten” berichten.
Über Madlen
Madlen ist für mich der Inbegriff Südamerikas, eines nachhaltigen Lebensstils und inzwischen ein echtes Vorbild.
In normalen Wochen sitzt Madlen auf der anderen Straßenseite meiner Friedrichshainer Wohnung und arbeitet an ihrem Reiseblog puriy.de sowie in ihrem eigenen Unternehmen. Doch bei Madlen ist fast keine Woche normal, denn immer öfter zieht es sie in die Ferne.
Während sie früher unbedingt nach Berlin wollte, so nennt sie heute die Welt ihr Zuhause. Dabei erlebte sie schon so manches Abenteuer, doch eines ist immer gleich und immer garantiert: Jede Reise genießt sie auf´s Neue. Auf ihrem Blog verarbeitet sie ihre Erlebnisse. Mit Erfolg, denn das Ziel, dass puriy Lust wecken soll, die Welt selbst zu entdecken, hat sie längst erreicht. Schaut doch mal rein.
Franziska via KeineWeltreise
22. Februar 2015, 8:45Hallo!
Ich bin immer sehr skeptisch bei diesen Patenschaften, weil ich mich frage, wie viel des Geldes in der Logistik stecken bleibt, was natürlich teilweise auch verständlich ist. Aber welche Organisation ist die richtige, wenn ich mich dazu entschließe? Vielleicht Können auch andere von ihren Erfahrungen berichten?
Franziska