Lozère: Die Balance zwischen Leben, Arbeit und Natur
„Willkommen am Ende der Welt!“, sagte der freundliche, gut 65 Jahre alte Franzose, der mir den richtigen Weg nach Trémiejols im Departement der Lozère gezeigt hatte. Die kleine Abfahrt, die direkt an der Landstraße lag, hatte ich gar nicht als echte Straße wahrgenommen, denn hinter Bäumen und Büschen lag die versteckte Abbiegung. Also machte ich kehrt, fand den nahezu geheimen Zugang und folgte der kleinen Straße einige Minuten.
Mein Weg führte mich an einer Weide vorbei auf der ein Einhorn graste. Entweder war es die Müdigkeit oder gar das leicht magische Gefühl, das mich umgab, denn nach wenigen Sekunden entpuppte sich mein Einhorn als Schimmel. Ganz ruhig stand er da, graste ein wenig und blickte mit seinen genügsamen Augen zu mir herüber.
Ich fuhr weiter und passierte innerhalb der nächsten Kilometer eine alte Brücke sowie einen Felsen auf dem ein Falke nur zwei Meter von mir entfernt rastete. Kurz danach erreichte ich das steinerne Schild mit der Aufschrift „La Bastide de Trémiejols“.
Die Bastide de Trémiejols ist die neue Heimat von Marc und Michael. Die beiden Ex-Kölner verschlug es vor drei Jahren in die Lozère, als sie auf der Suche nach einem Haus in Südfrankreich waren. Zuerst erforschten der ehemalige Küchenchef und der Dekorateur, der für Estée Lauder Cosmetics arbeitete, die Gegend um Marseille auf der Suche nach einer neuen Bleibe. Zu groß, zu laut, zu anonym, hatte es damals geheißen. Und so kam es, dass die beiden in circa 200 Kilometer nördlicher Entfernung direkt im Nationalpark der Cevennen eine schöne Ruine entdeckten. Der Ausbau der Ruine im klitzekleinen Vier-Seelen-Dorf zu einem wunderbaren Gasthaus sollte zwei weitere Jahre benötigen. Das lag zum einen an dem enormen Arbeitsaufwand am morschen Bauwerk und zum anderen an den vielen Einladungen, welche die beiden genossen. Sehr familiär und gastfreundlich wurden sie hier in der Lozère aufgenommen. Das ist nicht unbedingt üblich, besonders als schwules und ausländisches Paar hatten sie mehr Gegenwind erwartet.
Doch auf den Zusammenhalt innerhalb der Region wird hier ein ganz besonderer Fokus gelegt. Hier hilft jeder dem anderen und keiner ist sich selbst der nächste. Gemüse- und Obstableger zum Anbau im Garten bekamen Marc und Michael dieses Jahr von Freunden. Sie werden es den edlen Spendern wohl bald mit einem von Marcs köstlichen Kastanienbroten oder einer Einladung zum Abendessen danken.
Und auch die Umwelt kommt in der Lozère nicht zu kurz. Marc und Michael verwenden ausschließlich Produkte aus der Region: Honig, Käse, Wein – sie kennen den Ursprung all ihrer Produkte und den Erzeuger fast immer beim Namen.
Seit einigen Tagen wohnen auf ihrem Land sogar 36.000 Bienen. Ein regionaler Imker hatte nach einem Ort gesucht, an dem er 36 Bienenkästen platzieren kann. Und da Bienen durch die Bestäubung der Pflanzen sicherlich die Hälfte der Gartenarbeit für die beiden übernehmen werden, stimmten sie dem Vorhaben zu.
Die restlichen Lebensmittel bauen sie im eigenen Garten an, beziehen sie von Freunden oder kaufen sie auf dem Markt in Génolhac. Warmes Wasser für die Versorgung der Gäste bereitet im Landhaus Trémiejols eine Solarthermieanlage auf. Und falls die Sonne mal nicht lange genug scheinen sollte, so übernimmt der Kamin die Erwärmung der Wassertanks.
Marc lernte ich direkt am Montag, dem ersten Tag meiner Reise kennen. Wir trafen uns in Florac und hatten ein nettes Gespräch mit dem Ökotourismusverein der Cevennen. Er sollte bei diesem Gespräch ursprünglich als Übersetzer agieren, doch da er totaler Unterstützer einer nachhaltigen Lebensweise und eines nachhaltigen Tourismus ist, stand er ab der zweiten Frage ganz alleine Rede und Antwort.
Wir redeten über den Nationalpark der Cevennen, die Lozère als Verwaltungsbezirk der Region, die sanfte Entwicklung des Tourismus und diskutierten über die Aufgaben des Ökotourismusvereins der Cevennen. Zusammen mit den Unterkünften stellt dieser nämlich Dreijahrespläne auf und unterstützt bei der Umsetzung. Wesentliche Ziele sind dabei: Müllvermeidung, Einsparungen von Strom und Wasser, Verwendung regionaler Produkte und nachhaltiger Energiequellen sowie insgesamt betrachtet ein sehr regenrationsfähiger Umgang mit der Natur.
Wer sich im Cevennes Ecotourism engagieren möchte, muss sich zunächst bewerben, seine Ziele definieren und den Ökotourismusverein von seinem Projekt überzeugen. Erst wenn innerhalb dieses Bewerbungsprozesses alle Ampeln auf grün gestellt sind, erfolgt die Aufnahme. Gemeinsames Marketing wird für die Unterkünfte des Verbandes nicht gemacht. Primäres Ziel ist die Erhaltung der Umwelt mit all ihrer Artenvielfalt und Farbenpracht, erklärte mir Marc. Es muss also eine unabdingbare innere Überzeugung für die gute Sache bei den teilnehmenden Unterkünften, Pensionen, Hotels und Gasthäusern vorhanden sein.
In regelmäßigen Abständen gibt zwischen dem Ökotourismusverein der Cevennen und den Mitgliedern Planungstreffen. Dabei werden Erfolge ausgewertet, neue Ziele definiert und neue Projekte besprochen, erklärt Anne, während Marc simultan übersetzt. Anne-Laure ist die Netzwerk- und Kommunikationsbeauftragte für den nachhaltigen Verbund. Ein besonderer Fokus liegt neben der Erhaltung der Natur in der Verbreitung des Wissens über Flora, Fauna und Geologie.
Ganz stolz zeigen mir Marc und Anne-Laure den Entdeckerrucksack für Kinder. Ein Produkt, welches sie zusammen kreiert haben und nun den Touristen in den jeweiligen Unterkünften kostenfrei zur Verfügung stellen. Sofort fühle ich mich in der Zeit um etwa vierzehn Jahre zurück versetzt, denn ich war eines jener Kinder, die mit Lupe und ausgespültem Joghurtbecher den ganzen Tag im Garten auf der Jagd nach Insekten waren. Eines jener Kinder, die unbedingt mit zehn Jahren ein Taschenmesser brauchten und im gleichen Alter schon das dritte Fernglas im Einsatz hatten. Und eben eines jener Kinder, die mit Chemiebaukästen in der Wohnung experimentierten und mit Opis Kompass vom Kinderzimmer bis zur Küche navigierten.
Der Entdeckerrucksack beherbergt all die tollen Utensilien, die für ein spannendes Outdoorabenteuer benötigt werden und beinhaltet zusätzliche einige Infomaterialen und Büchern, so dass unbekannte Pflanzen, Insekten oder Gesteine problemlos enttarnt werden können.
Aber auch erwachsene Menschen können von der Region lernen und mit ihr im Einklang leben. So zeigten mir Marc und Anne-Laure beispielsweise ein Kochbuch, welches ebenfalls in der Kooperation aus Ökotourismusverein und Unterkünften entstanden ist. Hier werden ausschließlich Rezepte vorgeschlagen, die mit heimischen Lebensmitteln zu kochen sind. Marc empfiehlt innerhalb des Kochbuches sein Spezialrezept für himmlische Blaubeer-Pfannkuchen.
Ohne, dass ich die Pfannkuchen probiert habe, weiß ich, dass sie gigantisch schmecken müssen. Denn an einem meiner letzten Abende in der Lozère wurde ich von den beiden Aussteigern, die ihr stressiges Leben in Deutschland aufgaben und in die naturräumliche Idylle der Lozère zogen, ganz spontan zum Abendessen eingeladen. Eigentlich wollte ich nur ein paar Bilder machen und mir einen Eindruck vor Ort verschaffen, doch daraus wurde ein illustres, dreistündiges 5-Gänge-Abendessen mit den beiden Gastgebern und weiteren Gästen des Landhauses, die aus Israel, Dänemark und Frankreich stammten.
Morgen früh würden die beiden zum Markt fahren, um frische Zutaten für das Abendessen des nächsten Tages zu besorgen, erzählte mir Michael. Die Tatsache eine halbe Autostunde von der nächsten Einkaufsmöglichkeit entfernt zu wohnen war der einzige Punkt, der mich in der Lozère und dem Leben hier nervös machte. Kein spontanes Einkaufen, kein Arzt um die Ecke, aber dafür ein Leben mitten in der Natur. Ein Leben, das ich mir auch so vorstellen könnte. Und als ich Marc fragte, wann er mal Urlaub macht, antwortete er voller Überzeugung „Immer!“.
Ich danke Inger von Lozère Tourismus für die tolle Organisation der Reise und der Möglichkeit die Region auf eigene Faust zu entdecken. Wenn ihr mehr über die Lozére erfahren wollt, dann rate ich euch die nächsten Beiträge zu verfolgen!
Marcus
30. Juni 2014, 13:56Ein sehr schöner Beitrag!
Wir waren die vergangenen 2 Wochen in Südtirol gewesen und haben dort unseren Sommerurlaub mit den Kids gemacht. Die Besitzer unserer Ferienwohnung haben uns den Wein und die Kirschen aus Ihrer Plantage probieren lassen und wir sind dadurch auch im Gespräch unweigerlich auf das Essen und die Region gekommen. Die Familie Tiecher geht selber nur im Dorfkonsum einkaufen, außer Sie benötigen spezielle Dinge. Der Konsum (klingt wie vor 1990 😀 ) führt sehr viele Produkte und diese auch aus der Region.
Solche Kirschen wie in Südtirol habe ich bisher nirgends gegessen, die waren richtig saftig und dunkelrot, einfach toll. Von der Größe würden diese unsere DIN-Norm weit übertreffen, wenn es so etwas für Obst gibt. 🙂
Finde es toll, das ein !!!Kölner!!! Paar es sich zugetraut und auch geschafft hat! 🙂 Bewundere die Menschen auch, wie unsere Vermieter von der FeWo, die Ihren Lebensunterhalt aus dem eigenen Anbau und aus der Vermietung von Ihrer FeWos verdienen/gestalten. Mir würde denke ich dazu der Mumm fehlen. 😀
Steven
1. Juli 2014, 21:42Huhu Marcus,
ach das klingt ja super mit Südtirol und schreit ja beinahe nach einem Gastbeitrag! Ich denke, dass jeder es schaffen kann eine Existenz außerhalb des ursprünglichen Lebens aufzubauen. Denn wenn wir ganz ehrlich sind, dann fehlt uns einfach oft, wie du schon sagst, der Mut dafür!
Aber wenn man etwas ganz sehnlich wünscht – dann schaffte man das auch.
Freue mich mehr aus Südtirol zu hören!
Steven
Claudia
11. Juli 2014, 9:35Hallo Steven,
ein sehr schöner Bericht ist das. Das verlockt dirket zum Koffer packen um die Gegend ebenfalls zu erkunden. Besonders der Nachhaltigkeitsgedanke gefällt uns dabei. Übrigens auch sehr schöne Bilder von der Gegend.
Liebe Grüße
Claudia