Hilfsbereitschaft

 / Hilfsbereitschaft
23 Dez

Hilfsbereitschaft

23. Dezember 2014

von Kristina Merten
Da sitze ich nun, an einem Freitag Abend, um 20:00 Uhr, auf meinem grünen Teppich, in meinem kleinen grünen Zimmer. Grün ist die Hoffnung. Ich bin glücklich, mich momentan als Erasmus-Studentin in meinem Lieblingsland Spanien, in meiner Lieblingsstadt Sevilla, zu befinden. Und ich bin unendlich glücklich über diesen Tag, auch wenn sich dieses Gefühl im Fünf-Minuten-Rhythmus mit dem der Niedergeschlagenheit wegen einer Bänderzerrung im Sprunggelenkt abwechselt. Froh bin ich ob des Wissens, von wundervoll hilfsbereiten Menschen durch die Gegend getragen, geschoben, kutschiert und umsorgt worden zu sein. Keine Person, die mir heute half, kenne ich länger als zwei Monate. Und doch haben sie alles stehen und liegen lassen, um mir zu helfen. Eine Selbstverständlichkeit? Könnte man denken. Doch wenn es manchen Menschen noch nicht einmal selbstverständlich erscheint, den Weg für einen alte Frau, den Sitzplatz im Bus für eine Schwangere oder die Behindertentoilette für einen offensichtlich am Down-Syndrom leidenden Jungen frei zu machen, was kann man dann noch als selbstverständlich erachten?
Eine „Person mit reduzierter Mobilität“ (meine freie Übersetzung aus dem Spanischen) kann jedermann von einem auf den anderen Tag werden. Von jetzt auf gleich auf die Extraportion Rücksicht und Hilfe angewiesen. Ich nehme meine Umwelt, mein Umfeld, meine Fähigkeiten und meinen Alltag plötzlich ganz anders wahr. Und tatsächlich widerfahren mir die unterschiedlichsten Reaktionen und Verhaltensweisen – wenn mir ein unbekannter Mensch auf der Straße begegnet, wir uns gegenüber stehen bzw. auf einander zugehen, ich mit Krücken, sichtlich angestrengt, sichtlich erschöpft. Ich weiche meist aus, denn häufig werde ich von entgegenkommenden, in ein Gespräch vertiefte Menschengruppen, gar nicht wahrgenommen. Das ein oder andere Mal bin ich es, die in die Wasserbecken der Bäume am Wegesrand humpelt und so vier nebeneinander hergehenden Passanten ausweicht. Türen werden vor mir fallen gelassen, ohne den Blick zurück auf eine dahinter kommende Person zu verschwenden.
Auf der anderen Seite gibt es aber natürlich auch äußerst hilfsbereite Mitmenschen. Diese, die deine Krücken die Treppe hochtragen oder dir gar ihren Rücken anbieten (was ich jedes Mal ablehne, das Treppenspringen ist mein Workout!); solche, die von der anderen Straßenseite angerannt kommen, um dir die Tür aufzuhalten. Oder Anzug tragende und fein zurechtgemachte Herren, die im strömenden Regen aus dem Unterstand der vollen Bushaltestelle hervorkommen, um dir Platz unter ihrem Regenschirm anzubieten und dir anschließend eine trockene Stelle unter dem Dach verschaffen.
 

Wahrnehmung ist für mich der Spiegel von Hilfsbereitschaft

Meiner Meinung nach nehmen wir die Menschen, denen wir täglich begegnen viel zu wenig wahr. Die Unbekannten werden oftmals mit keinerlei Aufmerksamkeit bedacht. Wo kämen wir auch hin, würden wir jedem auf dem Bürgersteig begrüßen, uns mit den Insassen eines ganzen Busses unterhalten oder jedem Autofahrer auf der Straße ein Lächeln schenken? Doch darauf möchte ich gar nicht hinaus. Es geht mir vielmehr darum, dass wir uns wieder bewusster machen, dass sich in unserer Umgebung Menschen bewegen, die wir nicht kennen mögen und mit denen wir dennoch teilweise engsten Raum teilen. Ich bin pro Ausweichen auf der Straße, pro Tür aufhalten, pro Stehen bleiben und warten bis der mir Entgegenkommende den Weg frei macht. Und nicht nur gerade jetzt zur Weihnachtszeit sollten wir unser Verhalten wieder mehr auf Empathie und Rücksicht trimmen.
 

Wie kann ich etwas Gutes tun?

Noch während der Zeit, in der ich unter hohen Anstrengungen auf Krücken unterwegs war und nicht selten auf dem nach Hause Weg von der Bushaltestelle schmerzende Arme hatte und dachte, ich würde auf der Straße schlafen müssen, weil ich es nicht mehr nach Hause schaffen würde, überkam mich ein starker Drang, Menschen, die sich in einer ähnlichen Situation wie gerade befinden würde, zu helfen. Was machen die Alleinlebenden Personen, die nicht auf einen großen Familien- und Freundeskreis zurück greifen können, der ihnen bei der Bewältigung ihrer – zugegebener Maßen kurzzeitigen – erschwerten Alltagssituation helfen kann? Ein langfristig behinderter Mensch kann zumeist auf staatliche Hilfsmaßnahmen, wie die Gestellung einer Haushaltshilfe oder Hauskrankenpflege hoffen. Doch das ist bei kurzweiligen Hilfsbedarfen natürlich weder nötig, noch einfach und auf die Schnelle organisierbar. Was könnte ich also tun, um diesem Hilfsdrang nachzugehen, der sich auf so plötzliche Weise in mir regte? Sollte ich die Erste-Hilfe-Station des nächsten Krankenhauses aufsuchen und dort meine „Servicebereitschaft“ unter den verletzten Menschen anbieten? Sollte ich das Internet und Soziale Netzwerke nach bereits bestehenden Organisationen durchforsten? (Letzteres habe ich tatsächlich ergebnislos getan.)
Was, von meinen eifrigen Reflexionen, habe ich nun auch wirklich umgesetzt? Ich war nicht im Krankenhaus und habe mich seither auch sonst nicht sozial engagiert. (Es bleibt aber nach wie vor mein Plan, das zu tun!) Ich versuche täglich aufs Neue, meine Wahrnehmung für Andere zu sensibilisieren. Das gelingt mal mehr und mal weniger gut. Erst letzte Woche habe ich mich über mich selbst geärgert, nachdem ich den Supermarkt verlassen hatte und feststellte, dem Rollstuhlfahrer, der sich darin mühsam durch die engen Gassen zwischen den Regalen manövrierte, keine Hilfe angeboten zu haben. Ich habe ihm immer Platz gemacht, wenn wir uns begegneten und – hätte er mich gefragt – hätte ich ihm auch die Lebensmittel aus den hohen Regalen gereicht, aber ich war nicht von selbst auf die Idee gekommen, meine Hilfe anzubieten. Ich denke, dass das ein ganz wichtiger Fehler in unserer Denkhaltung ist: Wir sollten nicht immer darauf warten, dass wir um Hilfe gefragt werden, wir sollten sie selbstverständlich anbieten. Dabei reicht schon eine aufgehaltene Tür oder der Regenschirm über unserem Kopf. Der Dank ist ein Lächeln.
 
___
Dieser Gastbeitrag von Kristina ist ein Teil des Funkloch Adventskalenders 2015, bei dem Reisende über “Gutes tun” berichten.
Eine Übersicht aller Adventskalender-Beiträge findet ihr hier.
kristina_merten_hilfsbereutschaftMir persönlich machte es irren Spaß Kristinas Anekdote zu lesen. Das liegt daran, dass ich sie sehr gut kenne und ganz gut weiß wie sie tickt. Sie ist eine quirlige junge Frau, die selbstbewusst und freundlich ihren Weg geht. Hilfe leistet sie gerne und sicherlich öfter als es ihr bewusst ist. Nach Hilfe fragen käme ihr jedoch nie in den Sinn. Dafür ist sie zu eigenständig und mag niemandem auf die Nerven gehen.
Ihre Bänderzerrung brachte ihr eine wertvolle Erfahrung und ich glaube, dass sie nun noch aufmerksamer durch die Welt geht und hoffe insgeheim, dass sie in der Zukunft öfter mal um Hilfe oder Rat fragen wird. ;-P
 
 

No Comments

Leave a Reply

Steven Hille

Steven ist der Autor des nachhaltigen Reiseblogs Funkloch. Irgendwann dachte er sich, dass er nur noch Projekte realisieren sollte, die einen guten Nutzen haben. Aus dieser Idee heraus sammelte er Spenden für ein Tigerbaby, unterstützte ein nationales Bienenprojekt, baute einen Brunnen in Uganda und gründete mit Freunden die NGO WeWater, die sich für sauberes Trinkwasser einsetzt.

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner