Gutes tun – Vom Geben und Nehmen.

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1 Dez

Gutes tun – Vom Geben und Nehmen.

1. Dezember 2014

Die Adventszeit gilt als besinnliche Zeit. Als eine Zeit, in der wir unseren Terminkalender nicht zu sehr ausreizen und uns Zeit für uns selbst nehmen. Wir blicken auf das vergangene Jahr zurück, unternehmen etwas mit der Familie und bereiten uns in aller Ruhe auf das Weihnachtsfest vor. Eigentlich.
Doch zumeist ist die Adventszeit die hektischste Zeit des Jahres. Alles was wir im aktuellen Jahr vor uns hergeschoben haben, versuchen wir noch unbedingt vor Ende des Jahres umzusetzen. Wir treffen die Freundin, die wir das letzte Mal vor Monaten gesehen haben, erledigen überfällige Arztbesuche und bringen unsere Wohnungen auf Vordermann. Und dann ist da natürlich noch der Stress der Weihnachtsgeschenke und Weihnachtsvorbereitungen. Wir hasten von Geschäft zu Geschäft, kaufen Nettigkeiten für unsere Liebsten, besorgen einen Weihnachtsbaum und kaufen so viel Essen ein, dass die ganze Familie und Verwandtschaft wohlmöglich noch den ganzen Januar davon leben könnte.
Wir wissen, dass das falsch ist und wir wissen, dass wir diese besinnliche Zeit anders nutzen sollen – doch etwas ändern, nein, das tun wir nicht. 
Ich bin der Meinung, dass wir uns gerade in dieser besinnlichen Zeit sehr glücklich schätzen können. Die meisten von uns haben ein Dach über dem Kopf, täglich etwas warmes zu essen, genug Geld um Geschenke zu Weihnachten und einen Weihnachtsbraten zu kaufen. Und so sehr wir an jedem Montag auch erneut über die verfluchte Arbeit schimpfen, so glücklich sind wir auch, dass wir sie haben. Vielen Menschen geht es nicht so gut wie uns in Deutschland und vielen Teilen Europas. In Syrien sind hunderttausende auf der Flucht,  in Afrika kämpfen tausende gegen den Ebola-Virus und viele Millionen Menschen trauern weltweit um einen ihrer Liebsten, die sie in diesem Jahr verloren haben.
Um uns vor Augen zu führen wie wertvoll das Leben ist, wie gut wir es haben und wie mit ganz kleinen Taten Freude geschaffen werden kann, habe ich diesen Adventskalender initiiert. Er wird in den folgenden 23 Tagen voll gespickt sein mit Erlebnissen von 23 Menschen, denen etwas Gutes getan wurde oder die selbst etwas Gutes gemacht haben. Die einzelnen Erlebnisse sind spannend, packend, zum Nachahmen und lassen mich nachdenklich stimmen. Was ist mein guter Vorsatz für 2015? Wie kann ich im nächsten Jahr Gutes bewirken und meinen Beitrag für eine bessere Welt leisten? 
Damit ihr nicht bis morgen auf den ersten Beitrag warten müsst, folgt nun das erste Erlebnis. Es handelt von einem Abend, der mich in Hiroshima sehr rührte und der meine Theorie von der Kette – Gutes tun, so dass einem auch Gutes getan wird – bestätigt.

Gutes tun – Vom Geben und Nehmen.

Ich war in Hiroshima und saß mehrere Stunden gegenüber der Atombombenkuppel. Am 06. August 1945 detonierte dreihundert Meter von meinem jetzigen Aufenthaltsort entfernt die amerikanische Atombombe Little Boy. Es war der weltweit erste Einsatz einer Atomwaffe. Little Boy zerstörte innerhalb von Sekunden 80% der Innenstadt und löschte 90.000 bis 166.000 Menschenleben aus. Heute ist Hiroshima ein Ort des Friedens, der seine Botschaft in die ganze Welt sendet.
An diesem geschichtsträchtigen Ort war von den Impressionen vor überladen, nachdenklich geworden und den Tränen nahe. Noch vor dem Abendessen suchte ich die Toilette des Parks aus. Dort überraschte ich einen alten Japaner, der seine Kleidung mit Kernseife und vielen Lappen im einzigen Waschbecken der Toilette säuberte. Er war sehr dürr, hatte langes graues Haar und machte trotz seiner offensichtlichen Obdachlosigkeit einen gepflegten Eindruck. Er grüßte mit einem herzlichen Kombanwa (jap. für Guten Abend) , ließ das Wasser im Waschbecken ab und machte Platz, sodass ich mir meine Hände waschen konnte. Folglich wusch ich mir in dem Waschbecken die Hände und verließ das kleine Toilettenhäuschen. Mit welcher Freundlichkeit die Menschen einem in Japan begegnen machte mich ein Mal mehr besinnlich.
Nach etwa zehn Metern machte ich kehrt und ging zurück in das Toilettenhäuschen. Der japanische Herr, der schon wieder ganz emsig am Waschen war, staunte, als ich nur Sekunden später wieder vor ihm stand. Ich fragte ihn, ob er heute schon etwas gegessen hat. Er antwortete, in dem er langsam und wehmütig seinen Kopf schüttelte.
Ich nahm mein Portemonnaie und gab ihm 1000 Yen. Erst auf mein Drängen hin nahm er es an und wünschte mir voller Dankbarkeit und einer herzlichen Verbeugung eine gute Nacht. Der Betrag in Yen entspricht nur etwa 8 Euro. Das ist nicht viel, jedoch würden davon sicher ein-zwei Mahlzeiten rausspringen, dachte ich.
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Auf der Suche nach einem Restaurant ging ich durch die Straßen Hiroshimas und entdeckte das Restaurant Ekohiiki: Ein Grill mit Austern hatte mich neugierig gemacht. Ich trat näher und entdeckte eine kleine Broschüre. Schon auf der ersten Innenseite hatte mich das Ekohiiki überzeugt: Sämtliche Zutaten stammten ausschließlich aus der Region um Hiroshima! Wow, hier musste ich einfach bleiben, denn bisher kam mir Japan zwar qualitativ hochwertig, aber keinesfalls nachhaltig vor! Ich wurde, wie einige Minuten zuvor, auf freundlichste Art und Weise begrüßt. Ich bestellte Sake, Thunfisch Sashimi, Fried Rice sowie die gegrillten Austern, die mich angelockt hatten.
Während die beiden Köche mein Abendessen zubereiteten, folgten einige Fragen vom neugierigen Kellner. In diesem Punkt ist Japan sehr kurios. Entweder sind die Japaner extrem schüchtern und bekommen keinen Ton heraus oder sie sind neugierig und fragen dir in einer kindlichen Hyperaktivität schwarze Löcher in den Bauch. Die letze der beiden Varianten ist mir natürlich viel lieber. Und irgendwie machte das auch Spaß, denn ich konnte Gegenfragen stellen und so auch mal hinter die Kulissen dieses spannenden Landes schauen.
Kurz nachdem ich bis zum allerletzten Reiskörnchen alles vertilgt hatte, tauchte einer der beiden Köche, der den Namen Hitoshi trug, wie sich später herausstellte, neben mir auf. Er fragte, ob denn alles geschmeckt hätte und ob ich die gegrillten Austern mochte. Ich erwiderte, dass ich sie nicht nur mochte, sondern sogar lieben gelernt hatte. Sein Gesichtsausdruck wandelte sich vom skeptischen Blick zu einem freudigen Lachen und er sagte, dass ich nun auch mal eine gegarte Variante der Austern probieren müsse. Noch während er sprach, stellte er ein Körbchen mit zwei Austern auf den Tisch und bezeichnete sie als Geschenk des Hauses. Im gleichen Atemzug tauschte der flinke Kellner mein leeres Glas Sake gegen ein neues aus. Ich war extrem baff und bedankte mich überschwänglich. Auch die gegarte Version war erstklassig. Ich lobte den Koch für seine Künste, während er nach meiner Meinung fragte und das Körbchen abräumte.
Anschließend machte ich mich an die Planung des nächsten Tages. Doch als ich gerade in den Busfahrplan vertieft war, tauchte Hitoshi wieder neben mir auf. Er grinste und servierte mir ein Seafood-Curry mit den Worten, dass ich es unbedingt testen müsste und die Unterschiede zum deutschen Curry erklären sollte. Auch mein Sake wurde in diesem Moment durch ihn aufgefüllt.
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Ich war ein Mal mehr über so viel Gastfreundschaft erstaunt, bedankte mich und sagte ihm, dass er wie eine liebe Mutti sei, weil er sich so lieb um mein Wohl sorgte. Er lachte und übersetzte meine Worte den restlichen Kollegen. Nun lachte das komplette Restaurant, so dass wir unsere Gläser nahmen und auf die Muttis dieser Welt anstießen. Natürlich auch auf die beste Mutti von allen – Hitoshi.
Wir verbrachten noch eine weitere tolle Stunde mit Sake und kulturellem Austausch, bis ich die Rechnung bestellte. Auf dieser waren lediglich die ersten Bestellungen enthalten. Alle Versuche etwas Trinkgeld zu geben, scheiterten: Sie nahmen es leider nicht an und deuteten stattdessen auf die kleine Broschüre.
Ekohiiki heißt: etwas Gutes tun. 
Sie haben es gerne gemacht, aus dem Herzen heraus. 
Und so schloss sich der Kreis zwischen dem Mann auf der Toilette, dem Ekohiiki und mir.  Ich denke bis heute, dass eine gute Tat nie unbezahlt bleibt und nicht nur Freude beim Empfänger, sondern auch beim Wohltäter selbst schafft. Probiert es doch mal aus. 
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Dieser Beitrag ist ein Teil des Funkloch Adventskalenders 2015 bei dem Reisende über “Gutes tun” berichten. Der nächste Beitrag erscheint am 02. Dezember. Die Übersicht aller Beiträge findet ihr hier. 
Kommentare
  • Holger
    1. Dezember 2014, 2:48

    Ein toller Bericht, der zeigt wie einfach es sein kann, etwas Gutes zu tun.
    Sehr schön geschrieben, aber auch mit einer schönen Botschaft. Wieviel Freude und Herzlichkeit uns in anderen Ländern oftmals entgegen gebracht wird, ist für uns Deutsche meist schwer zu verstehen. Vielleicht nimmt aber der ein oder andere Reisende etwas davon mit und bekommt eine andere Sicht auf das Leben…
    Ich würde es mir wünschen!

  • Rabin
    23. August 2016, 11:42

    Was für ein wunderschöner Bericht – gerade um Hiroshima und die Gastfreundschaft. Gestern kam ein Bericht über Fukushima und wie die Regierung versucht, die Menschen wieder in die Gegend der Reaktor-Katastrophe zurückzulocken/zuzwingen. Mir standen dabei alle Haare zu Berge. Am Meisten als eine alte 98-jährige Dame unbedingt in ihre Heimat zurückwollte und von ihrer Schwiegertochter trotz des Wissens um die Gefahr begleitet wurde. Man kann den Menschen in Japan nur alles Glück der Welt wünschen.
    Vielen Dank für den Artikel und ganz liebe Grüße
    Rabin (Ash)

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Steven Hille

Steven ist der Autor des nachhaltigen Reiseblogs Funkloch. Irgendwann dachte er sich, dass er nur noch Projekte realisieren sollte, die einen guten Nutzen haben. Aus dieser Idee heraus sammelte er Spenden für ein Tigerbaby, unterstützte ein nationales Bienenprojekt, baute einen Brunnen in Uganda und gründete mit Freunden die NGO WeWater, die sich für sauberes Trinkwasser einsetzt.

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