Eine Geschichte über Krebs und den Lauf des Lebens.

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10 Dez

Eine Geschichte über Krebs und den Lauf des Lebens.

10. Dezember 2014

von Gundel Woite
Als mich Steven bat, einen Artikel für seinen Adventskalender zu dem Thema gute Taten zu schreiben, war ich natürlich sofort von der Idee begeistert. Ich finde es toll, dass er mit der Reihe seine Leser in der Adventszeit zum Nachdenken bringen möchte. Natürlich ist mein Hirn sofort auf Hochtouren gelaufen, von welcher guten Tat oder welchem schönen Erlebnis soll ich euch berichten.
Mir sind verschiedene Ideen gekommen, doch letztendlich habe ich mich entschlossen, Stevens Bitte zu ignorieren. Ja Steven, es tut mir leid. Aber ich werde in diesem Artikel nicht davon erzählen, was mir Schönes wiederfahren ist. Stattdessen habe ich mich entschieden, euch von den Ereignissen dieses Jahres zu erzählen. Ich erzähle euch von Angst, über das Gefühl der Hilflosigkeit und großer Verzweiflung. Es ist eine Geschichte über Krebs.
Anfang Mai haben wir vollkommen unerwartet die Nachricht erhalten, dass meine Mutter an Krebs erkrankt ist.
Es klingt wie ein Klischee, wenn man sagt, es hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen, aber es ist wahr. Die Welt hat aufgehört sich zu drehen und alle Problemchen des Alltags, die man sonst so wichtig nimmt, haben jegliche Bedeutung verloren. Im Nachhinein betrachtet, finde ich es absolut faszinierend, wie das sonst so logisch denkende Gehirn sich weigert, schockierende Realitäten anzuerkennen. Was nicht wahr sein darf, kann auch nicht wahr sein. In der Zeit, in der das Wort „inoperabel“ durch den Raum gesummt ist, konnte ich mich gar nicht konstruktiv oder rational mit dem Thema beschäftigen. Statt mich den Tatsachen zu stellen, bin ich durch Ablenkung und Beschallung geflohen, nur nicht nachdenken.
Erst als ein Arzt gefunden war, der die Operation wagen wollte, konnte ich auf Kampf-Modus umstellen. Der Organisator und Pläne-Macher in mir war wieder erwacht und hat sich voller Energie auf die Aufgabe gestürzt. Die Aufgabe hieß: das irgendwie durchstehen.
Sowohl die medizinischen Details als auch die Einzelheiten unseres Lebens in dieser Zeit erspare ich euch an dieser Stelle. Vielmehr möchte ich euch von ein paar Dingen berichten, die ich in diesem Jahr gelernt habe:
 

1.) Das Leben ist nicht selbstverständlich.

Ich will hier nicht dramatisch klingen, aber Fakt ist, dass wir nicht so unsterblich sind, wie wir uns immer alle fühlen. Du bist unzufrieden? Ändere es!
Wir schieben schwierige Entscheidungen und wichtige Änderungen in unserem Leben immer auf die lange Bank. Wir sind ja noch jung, warum etwas überstürzen? Ich sag ja nicht, dass man ohne nachzudenken alles auf den Kopf stellen soll, lediglich, dass man sich nicht vor lauter Angst hinter Ausreden verstecken sollte. Ganz egal wie dein Lebensplan aussieht, verwirkliche ihn sobald du kannst.
 

2.) Wir lassen uns von Kleinigkeiten den Tag vermiesen und merken gar nicht, was wir dadurch verpassen

Ihr kennt das bestimmt, man ist genervt, weil der Zug 20 Minuten Verspätung hat, stocksauer weil man ein Knöllchen bekommen hat und beim Gedanken an das morgige Mitarbeitergespräch wird einem ganz anders. Von all diesen kleinen Problemen und Unannehmlichkeiten lassen wir uns derart in Beschlag nehmen und verschwenden sehr viel Zeit darauf uns zu ärgern.
Ich war schon immer ein ehr positiv eingestellter Mensch, aber seit diesem Jahr bringt mich erst recht nichts mehr so schnell aus der Ruhe. 7 Stunden Verspätung bei einem 1,5 Stunden Flug? Egal, Hauptsache sicher ankommen.
 

3.) Sag die Wahrheit oder sag einfach gar nichts.

Wenn jemand, den man liebt, durch solch schwere Zeiten gehen muss, fühlen wir uns oft hilflos. Man weiß einfach nicht was man sagen soll. Ich habe gelernt, dass es nichts Schlimmeres als gutgemeinte Floskeln gibt. „Das wird schon wieder“ oder „was machst du denn wieder für Sachen“ scheinen vielleicht passend zu sein, aber sie sind es nicht. Auch wenn es schwer fällt muss man offen mit dem Betroffenen über seine Krankheit mit allen Folgen reden, falls er oder sie es will. Wenn man das nicht kann, sollte man lieber gar nichts sagen, einfach da sein kann auch helfen.
 

4.) Es ist ok, manchmal nicht weiter zu wissen.

Abtauchen
Ich bin ein Mensch der immer einen Plan hat, und überraschenderweise funktionieren diese Lebenspläne auch relativ oft. Ich kann alles organisieren und das meist ganz allein. Weil ich bis Anfang des Jahres der Meinung war, dass nach Hilfe fragen gleichzusetzen ist mit Schwäche einzugestehen. Das ist es aber nicht. Es ist vollkommen ok, wenn du jemanden an deiner Seite brauchst. Vollkommen ok, wenn du keine Ahnung hast, was du jetzt tun kannst oder wenn du jemanden brauchst, der dich einfach festhält. Keiner von uns kann immer alles alleine machen und das ist auch gut so, denn alleine macht das Leben eh keinen Spaß.
 

5.) Es ist nicht ok, seinen Frust an anderen auszulassen.

Auch wenn man wütend ist, wenn das Leben verdammt ungerecht ist und man eine riesen Angst hat. Andere Leute können auch nichts dafür. Und auch, wenn man auf offener Straße gerne wildfremde Menschen am Kragen packen und schütteln möchte, weil sie sich über absolute Unwichtigkeiten aufregen – es ist nicht ok. Nur weil die eigene Welt aufgehört hat sich zu drehen, gilt das nicht für den Rest der Welt. Sie dürfen sich über Kleinigkeiten beschweren, auch wenn sie gar nicht wissen, welches Glück sie haben, dass diese Kleinigkeiten aktuell ihre größten Sorgen sind.
 

6.) Krankenhaus-Serien sind vielleicht unterhaltsam, man kann nur hoffen, dass sie nie zur eigenen Realität werden.

Mittlerweile haben wir dieses Kapitel überstanden. Vorerst, man weiß nie wann der Krebs wieder kommt. Und auch wenn der Alltag fast unverändert weiterläuft, hat sich in den letzten sechs Monaten doch einiges verändert.
Wir leben jetzt bewusster und gehen irgendwie bedachter miteinander um. Hier wird keiner in Watte gepackt, wir sind ja nicht zerbrechlich. Allerdings haben die kleinen Probleme so an Bedeutung verloren, dass es sich nicht lohnt ihretwegen Streit anzufangen. Stattdessen genießen wir die Zeit, die wir zusammen haben.
 
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Dieser Gastbeitrag von Gundel ist ein Teil des Funkloch Adventskalenders 2015, bei dem Reisende über “Gutes tun” berichten.
Eine Übersicht aller Adventskalender-Beiträge findet ihr hier.
gundel_moite_von_thoringi.infoObwohl Gundel nicht über gute Taten geschrieben hat, passt dieser Beitrag doch extrem gut zum Thema. Denn mit ihren vielen Hinweisen tut sie einem jeden Gutes. Ihre Tipps helfen nicht nur denen, die gerade einen schwierige Zeit durchmachen, sie helfen auch allen anderen Menschen zur Besinnung zu kommen. Ich danke Gundel für diesen sehr bewegenden und privaten Einblick in Ihr letztes Jahr. Wenn ihr mehr über Gundel, die weite Welt oder ihre Heimat Thüringen erfahren wollt, dann folgt ihr doch auf thoringi.info.

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Steven Hille

Steven ist der Autor des nachhaltigen Reiseblogs Funkloch. Irgendwann dachte er sich, dass er nur noch Projekte realisieren sollte, die einen guten Nutzen haben. Aus dieser Idee heraus sammelte er Spenden für ein Tigerbaby, unterstützte ein nationales Bienenprojekt, baute einen Brunnen in Uganda und gründete mit Freunden die NGO WeWater, die sich für sauberes Trinkwasser einsetzt.

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