Der Glücksritter der Kokosnuss

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10 Jun

Der Glücksritter der Kokosnuss

10. Juni 2016

Ein Tag wie jeder andere, so scheint es. Nguyễn Thành Nam wacht erholt nach einer tropischen-schwülen Nacht auf. Doch heute ist etwas grundverschieden als sonst.
Die Horrorvorstellung für jeden: Man wacht morgens auf und ist verrückt.
Richtig, er hat über Nacht einen Knacks bekommen. Tief in seinem Hirn sind einige wichtige Drähte komplett durchgeschmort.
Hirnschmelze bis ins Mark.
Nicht mehr zu retten, Totalschaden.
Sein irrer Blick sucht nach einer Kokosnuss. Der Frucht, durch die weltweit jährlich hundertfünfzig Menschen sterben, weil sie unbekümmert unter einer Palme liegen und das himmlische Gewächs ihnen ungeahnt die Rübe zermatscht.
Er greift zu und das Unglück nimmt seinen Lauf.
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Dabei fängt alles so harmlos an.
Nguyễn Thành Nam wächst gut behütet in einer sehr vermögenden Familie im Süden Vietnams auf. Als er alt genug ist, schicken ihn seine Eltern zum Studieren nach Frankreich, damit er dort Ingenieur würde. Nach seinem Abschluss kehrt er wieder heim und nimmt sich eine wunderschöne Frau aus reichem Hause. Es scheint, als wäre der elterliche Plan aufgegangen und die Dinge nähmen ihren vorbestimmten Lauf.
Doch dann kommt ihm das Intermezzo mit der Kokosnuss dazwischen.
Nach dem besagten Morgen fasst er plötzlich einen Entschluss – er will sich fortan ausschließlich von Früchten ernähren. Das geht eine Weile gut. Dann fällt die Entscheidung: Von nun an soll es die Kokosnuss sein, sie und nichts sonst. Ihr Milch und Fleisch sind nahrhaft genug, deshalb bleibt er bei seinem Plan. Auf dem Markt spricht sich herum, dass in der Nachbarschaft ein Mann leben soll, der sich allein von Kokosnüssen ernährt. Man nennt ihn den Coconut Monk.
Den Glücksritter der Kokosnuss.
Denn neben der Ernährungsumstellung kommt er außerdem auf die Idee, der Welt Frieden zu schenken. Es bedarf lediglich drei einfachen Schritten.
 

Schritt 1: Das Fundament

Er gründet eine Sekte. Seine Religion, das Paradies auf Erden. Nur Frieden hat er im Sinn.
Frieden und Sex.
Die Sekte verbietet es jedem Mönch, Kinder zu zeugen. Im Gegenzug ist es ihm jedoch erlaubt, mit mehreren Frauen gleichzeitig zu verkehren und sie auch zu ehelichen.
Ein Mann, neun Frauen.
Der Coconut Monk ist kein Kind von Traurigkeit. Das sollen ihm die anderen Mönche mit ihren Regeln und Zwängen erst einmal nachmachen.
 

Schritt 2: Die Kultstätte

Er nutzt den Einfluss seiner Familie und bittet die Regierung, eine Tempelanlage zu bauen, um seine Kokosnussreligion praktizieren zu können. Die Regierung lehnt dankend ab, offeriert ihm aber eine kleine beschauliche Insel mitten im Mekong zur Untermiete, wo er sich austoben könne.
Der Coconut Monk macht sich seine angelernte Ingenieurskunst zunutze und erbaut aus Steinen, Stahl und Beton einen Rückzugsort, in der der Glaube an die Kokosnuss frei gelebt werden kann.
Am Eingang begrüßen den Eintretenden drei in Stein gehauene Männer, die eine Gewissensfrage stellen: Willst du lieber unsterblich, allwissend oder unfehlbar sein?
Wird diese Frage ehrlich beantwortet, ist der Eintritt frei und es eröffnet sich eine skurrile Szenerie. Neun Drachensäulen zieren den Hauptplatz und symbolisieren die Flussarme des Mekongs, welcher das kleine Eiland umgibt. Danach gelangt der Besucher zum Herzstück der Anlage.
Architektonisch wirkt der Tempel wie der feuchte Traum von Ariel der Meerjungfrau.
Ihr Grottengefilde.
Ihr maritimes Märchenland.
Wahllos zusammengewürfelte Steine wurden aufgetürmt zu windschiefen Wänden und einer Form, die entfernt einer Art Elfenbeinturm gleicht, jedoch einer geschmolzenen und eingesunkenen Variante.
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Die Anlage gipfelt in einer Stahlkonstruktion, die zwei Türme verbindet. Symbolisch für Hanoi und Saigon, den damaligen Machtzentren des geteilten Vietnams. In der Mitte eine schwebende Pagode. Darunter Bananenbäume und riesengroße Lotusblüten, von denen das Regenwasser des Monsuns abperlt.
Heute ist sein kleiner metallener Verschlag an der höchsten Stelle dieser Konstruktion nicht mehr betretbar – zu hohe Einsturzgefahr. Die vielen Warnschilder mit großen roten Buchstaben halten mich vom Besuch der Miniaturhütte ab.
Jugendliche sitzen nachts hier und trinken eine Kokosnuss auf den verrückten Mönch.
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In den späten Fünfzigern ist der Coconut Monk geachtet und in seiner buddhistischen Tracht immer ein gern gesehener Gast. Im südvietnamesischen Städtchen Mỹ Tho, in dessen Nähe sich die Insel mit seiner „fliegenden Pagode“ befindet und im angrenzenden Bến Tre geht er auf Beutefang und sorgt dafür, dass die Coconut Religion zu ihrer Hochzeit sogar ungefähr viertausend Anhänger hat.
Trotzdem strebt er nach mehr, denn hier nahe Mỹ Tho kommt nach den Mangrovenwäldern erstmal lange nichts und dann, nachdem sich der Mekong an die ostvietnamesische Küste geschlängelt hat, nur das südchinesische Meer und schlussendlich Malaysia.
 

Schritt 3: Die Expansion

Er versucht, Präsident Südvietnams zu werden, als das Land noch geteilt ist. Seine politische Laufbahn verläuft in etwa wie die sportliche Karriere von Eddie the Eagle: Er stolpert schon kurz nach dem Start und seine Ambitionen verlaufen sich im Schlamm der Gestade des Mekongs. Die Machthaber haben ihn jedoch seitdem im Visier.
Vier Jahre später wird seine bisher tolerierte Religion von den neuen Staatsführern des Landes zu einem Kult degradiert und verboten. Damit geht es steil bergab.
1990 legt sich der Coconut Monk nieder und steht nie wieder auf.
Der Wahnsinn hat ein Ende.
Mit der Zeit wird das ehemalige Epizentrum der Kokosnussreligion zur Touristenattraktion, auf der Insel finden sich nun ein Hotel und das dazugehörige Restaurant. Ein weiteres Highlight sind die Krokodile.
Noch etwas mit „K“ auf diesem Eiland.
Ein kluger Geschäftsmann kam auf die Idee, ein Rudel afrikanische Krokodile nach Vietnam zu verschiffen, um sie dann auf der Miniinsel im Mekong in ein Wasserbecken zu pferchen. Wagemutige können dieses auf einer laveden Bambusbrücke überqueren. Seitdem erinnert wenig an die fröhliche Visage des Tausendsassas, der hier einst gehaust hat.
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Einen Steinwurf von der Insel entfernt besuche ich eine Bonbonfabrik mitten im Dschungel. Welche Sorte deren Spezialität ist, liegt auf der Hand.
Ich muss schmunzeln.
Ein ganzes Leben aus Kokosnüssen würde ich wahrscheinlich nicht durchstehen. Doch ich würde es vielleicht eine ganze Weile lang darauf ankommen lassen.
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von Oliver Bähr, www.kaffeeersatz.com

Kommentar
  • Marco
    14. Juni 2016, 8:39

    Supercoole Geschichte!
    Ich war da tatsächlich auch schon mal, aber ich hatte ja keine Ahnung!
    Für mehr Geschichten von Menschen, die sich von Kokosnüssen ernähren, kann ich auch ‚Imperium‘ von Christian Kracht empfehlen…
    Travel hard!
    Maroc

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Christoph Schmidt

Christoph ist in Berlin geboren, aber überall Zuhause. Er liebt die Strände von Portugal, den Sonnenuntergang in der Schweiz und auch Städtetrips über die Grenzen Europas hinaus. Aber natürlich genießt er auch seinen Wohnsitz in Berlin. Dort geht er regelmäßig auf den Tennisplatz, ins Stadion zu Hertha und frönt gerne der hiesigen Kneipenkultur.

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