Tierwohl – Mehr Bewegungsfreiheit für Sauen und Ferkel

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20 Sep

Tierwohl – Mehr Bewegungsfreiheit für Sauen und Ferkel

20. September 2018

Aus der Kampagne #BrandenburgDaGehtWas
Vor fünf Jahren entschied ich mich für eine fleischlose Ernährung. Von heute auf morgen. Einer von vielen Gründen bezog sich damals auf die Haltung von Nutztieren. Ich wollte keine Massentierhaltung unterstützen, in der Tiere wie wertlose Ware zusammengepfercht werden. Daher war ich an diesem Morgen besonders gespannt, als ich vor den Toren der Agrargenossenschaft Beyern in Falkenberg stand. Noch niemals zuvor hatte ich einen Schweinestall betreten und mich mit der Zucht der Tiere auseinandergesetzt. Denn die birgt mindestens eine kuriose Besonderheit.

Wenn 280 Kilogramm Muttersau auf 1,3 Kilogramm Ferkel treffen

In der Zucht von Schweinen gibt es mindestens ein Problem, von dem ich bis zum heutigen Tag noch niemals etwas gehört hatte. Zwar gelten Schweine als äußerst soziale Tiere, doch es kommt immer wieder dazu, dass Sauen ihre Ferkel erdrücken. Nicht bewusst, sondern eher aus Versehen. Das geschieht beim Hinlegen der Sauen. Sie machen das nicht etwa so wie wir zu Bett gehen: Ein Fuß nach dem anderen, langsam und behutsam.

Nein, es wirken hier ganz andere Kräfte, ein gar nicht so geringer Teil der Sauen lässt sich mit ihrem gesamten Körpergewicht von 280 Kilogramm einfach fallen. Dann poltert es laut und die Sau liegt. Leider kommt es dabei oft dazu, dass sich unter der Sau noch ein Ferkel befindet. Die Folge für das Jungtier: Es wird erdrückt.

Um dem entgegen zu wirken, wurden in den 50er Jahren Abferkelbuchten mit einem sogenannten Ferkelschutzkorb konstruiert. In diesen speziell für die Geburt von Ferkeln gebauten Buchten, bringen die Sauen ihre Ferkel zur Welt. Danach verbringen sie die gesamte Säugezeit von etwa vier Wochen dort mit den Jungtieren. Der Clou der Abferkelbuchten ist der Ferkelschutzkorb, der die Sau umgibt und das Abliegeverhalten der Tiere unterstützt. Statt mit einem gewaltigen Knall zu Boden zu donnern, rutschen die Muttertiere an der Seite des Ferkelschutzkorbes hinunter und legen sich langsam ab. Den Ferkeln bleibt somit mehr Zeit für die Flucht. Mit der Lösung des einen Problems ist jedoch ein neues entstanden: Über den gesamten Zeitraum von vier Wochen ist die Sau fixiert und kann sich nur wenig bewegen.
 

Die Agrargenossenschaft liegt ganz in der Nähe des Kiebitz Sees.

 

Vor Ort traf ich Katja Menzer

 

Bewegungsbuchten mit mehr Platz für Sau und Ferkel

Dass eine solche Haltung nicht tiergerecht ist, sieht auch Katja Menzer so. Die Agrar-Ingenieurin arbeitet seit zwei Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Agrargenossenschaft. Ein Forschungsprojekt hat sie nach Falkenberg geführt.

Denn bereits 2014 hat die Agrargenossenschaft aus eigenen Mitteln nach einer Lösung des Problems gesucht. In der Entwicklungsphase entstand aus der herkömmlichen Abferkelbucht eine Bewegungsbucht, die mit 6,5 Quadratmetern fast ein Drittel größer ist und mehr Platz für Sauen und Ferkel bietet. Sie ermöglicht es außerdem die Sau nur in den ersten sieben Tagen nach der Geburt der Ferkel zu fixieren. In dieser Zeit gibt es nämlich die höchsten Verlustraten. Im Anschluss wird der Ferkelschutzkorb geöffnet und der Sau die Bewegung ermöglicht.

Die neue Bewegungsbucht war eine gute Weiterentwicklung zu den bisherigen Systemen. Doch die Stallleiterin Roswitha Richter wollte auf Nummer sicher gehen. Über ihre Investitionsberaterin wurde sie auf die Förderung des ELER im Rahmen der Europäischen Innovationspartnerschaft (EIP) aufmerksam. Die Gelder aus dem Projekt ermöglichten es ihr, Katja Menzer einzustellen und mit ihr weitere Varianten von Bewegungsbuchten zu studieren und zu testen. Im Januar 2017 begann schlussendlich der praktische Teil der Forschungsphase mit vier verschiedenen Buchtentypen. Über ein Jahr lange wurden die Ferkelverluste erfasst, Leistungsdaten gesammelt und Mitarbeiter befragt. Denn der Ferkelschutzkorb hat noch eine weitere sinnvolle Funktion: Er schützt die Stallmitarbeiter, da die Sauen mitunter nervös oder aggressiv unter der Geburt reagieren können. Nach einem Jahr stand fest, dass sich die Bemühungen gelohnt hatten. Die im ersten Versuch getestete Bewegungsbucht konnte im zweiten Teil der Projektphase optimiert werden. Dabei wurde das Wohlbefinden der Sauen durch die Möglichkeit zur Bewegung deutlich verbessert.

„Mit den Bewegungsbuchten erzielen wir einen Kompromiss“, sagt Katja. Die Sauen werden nur noch in den ersten sieben Lebenstagen der Ferkel fixiert und können sich danach freier bewegen. Nun werden Schritt für Schritt vier weitere Abteile der Sauenzuchtanlage mit den größeren Bewegungsbuchten umgebaut. Auch dabei kann der ELER helfen. Die Einzelbetriebliche Investitionsförderung für besonders tiergerechtes Bauen unterstützt das Unternehmen bei der Umrüstung der Abferkelabteile auf das neue Haltungssystem für die 750 Sauen des Betriebes.

„Wir sind sehr froh darüber, dass wir über den ELER die Haltungsbedingungen für unsere Sauen tiergerechter gestalten können“, sagt Katja. Ohne die Mittel aus dem ELER wäre die groß angelegte Forschung nicht möglich gewesen und der Umbau der Stallabteile wäre auf keinen Fall in so kurzer Zeit finanziell zu stemmen gewesen.

Die Bewegunsboxen sind variable in der Größe. Nach sieben Tagen wird die Fixierung der Sau gelöst.



Stallleiterin Roswitha Richter und Katja Menzer

Offenlegung
Für die Kampagne #BrandenburgDaGehtWas bin ich vom Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg damit beauftragt worden ausgewählte Projekte in Brandenburg zu besuchen, die mit EU-Fördermitteln unterstützt wurden. Diese Projekte stelle ich in kurzen Videos, Bildern und Texten vor. Ziel der Kampagne ist es aufzuzeigen wie mit EU-Geldern umgegangen wird und wie vielfältig die geförderten Projekte sind. Bei der Berichterstattung habe ich die vollständige redaktionelle Freiheit. Die meisten Projekte stelle ich auf brandenburg-da-geht-was.de vor. Projekte, die auch gut ins Funkloch passen, landen hier. Wie dieses Projekt zum Tierwohl der Sauen und Ferkel.

 

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Steven Hille

Steven ist der Autor des nachhaltigen Reiseblogs Funkloch. Irgendwann dachte er sich, dass er nur noch Projekte realisieren sollte, die einen guten Nutzen haben. Aus dieser Idee heraus sammelte er Spenden für ein Tigerbaby, unterstützte ein nationales Bienenprojekt, baute einen Brunnen in Uganda und gründete mit Freunden die NGO WeWater, die sich für sauberes Trinkwasser einsetzt.

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