Werfenweng – the kids want electro

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Werfenweng Österreich
5 Sep

Werfenweng – the kids want electro

5. September 2015

„Wir reisen eigentlich nie an den gleichen Ort. Aber die Möglichkeit sich zu jeder Zeit kostenlos ein Auto zu mieten, hat uns überzeugt und ist einfach praktisch. “, meint Familie Anders aus Hamburg, die ich auf meiner Fahrt vom Bahnhof Bischofshofen nach Werfenweng kennenlerne.
Neben den vielen Gesprächen mit den Machern des Mobilitätskonzeptes in Werfenweng, spreche ich auch mit Einheimischen und Touristen: Saubere Elektromobilität wird hier geschätzt, macht flexibel und wird von den Kindern geliebt.
Bereits seit 1997 ist das kleine 900-Seelen-Dorf Werfenweng Vorreiter für sanfte Mobilität, die im österreichischen Pongau gerne mit SAMO abgekürzt wird. Der Wandel zur sanften Mobilität entwickelte sich in Werfenweng nicht nur aufgrund der Liebe zur Natur. Mitte der 90er Jahre nahmen die Einnahmen der Stadt aus dem Tourismus deutlich ab. Eine neue Strategie musste her, die im Einklang mit der Natur entwickelt wurde. 1994 fing die zukunftsweisende Entwicklung mit der Aktualisierung des Ortsleitbildes und der Vision einer autofreien Stadt an. Als zwei Jahre später dann in Österreich ein Projektstandort für sanfte Mobilität gesucht wurde, erhielt Werfenweng den Zuschlag und entwickelte sich Jahr für Jahr in die richtige Richtung. Heute besitzt Werfenweng ein Bahnhofsshuttle, (elektrisches) Orts- und Nachttaxi, über 100 umweltfreundliche Fahrzeuge wie Segways, Elektrofahrräder und Elektroautos sowie diverse Freizeitangebote in der Natur.
Tavel-Charme-Bergresort
Solaranlage-Werfenweng

Tretautos, nächtliches Treiben und dann totale Ruhe.

Am ersten Abend mache ich nach dem Abendessen noch einen kleinen Spaziergang. Viel hatte ich seit meiner Anreise noch nicht gesehen. Bis zur Ortsmitte ist es von meinem schönen Hotel, dem Travel Charme Bergresort Werfenweng, nicht weit. Im Ortszentrum entdecke ich ohne große Mühe die Verleihstation. Dutzende Kinder rasen mit Tretautos über den Platz. Mein müder Blick auf die Uhr verrät mir, dass es bereits Viertel nach Neun ist – und der Dorfplatz platzt aus allen Nähten. Es ist Hochsaison und während sich Papa und Mama an einem Biergartentisch ein kühles Bier genehmigen und sich zurücklehnen, saust Junior ohne große Rücksicht über den Platz. Der Platz wimmelt geradezu von Kindern. Ich bewundere ein paar Minuten das nächtliche Treiben und spaziere staunend weiter. Hinter der Verleihstation entdecke ich eine große Solarstation, die den Strom für die Elektrofahrzeuge produziert. Sie produziert so viel, dass am Ende des Jahres sogar mehr eingespeist als verbraucht wird. Ich ziehe weiter. Die Geräusche der tobenden Kinder nehmen ab.
Die Dunkelheit erobert immer mehr von der Umgebung, nur die Solarlampen neben der Straße spenden mir Licht. Ich kann über die feucht-glitzernden Wiesen schauen und in der Ferne die dunklen Umrisse des Hochkönigs erkennen, die nach und nach verschwimmen und in ein sattes Schwarz übergehen.
Gedankenversunken und mit innerer Ausgeglichenheit kehre ich nach einer Stunde des Spazierengehens zurück in mein Hotelzimmer. Erst beim Öffnen meiner Balkontür bemerke ich etwas, dass ich die ganze Zeit nur unterbewusst wahrgenommen hatte: Absolute Ruhe. Werfenweng befindet sich ganz am Ende des Tals. Hier kommen schon aufgrund der abgeschiedenen Lage nur wenige Autos vorbei. Das Konzept der Stadt tut sein weiteres. Nur das Nachttaxi sehe ich in dieser milden Sommernacht vom Balkon aus. Es werden erst die zum Melken getriebenen Kühe sein, die mich am nächsten Morgen aus meinem Tiefschlaf holen.

Mit Twizy durch die Stadt und mit Zoe nach Salzburg.

Eine erste kleine Runde drehe ich am nächsten Morgen mit einem Renault Twizy. Es ist nicht einfach den kleinen Flitzer zu ergattern. Pausenlos stehen Interessierte an, um den Twizy oder die Segways zu fahren. Zum Werfenwenger See, zur Bergseilbahn und quer durch die Innenstadt führen meine Wege. Ich entdecke das Dorf im eigenen Tempo und fahre mit sauberer Energie und nahezu geräuschlos durch die Stadt. Nachhaltiger wäre es nur zu laufen oder mit dem Pferd unterwegs zu sein. Aber reiten, das war noch nie so richtig mein Ding.


Badesee-Werfenweng
Der Twizy ist ziemlich flink, klein und gut, aber auch etwas lauter als erwartet. Ich mag den kleinen Flitzer trotzdem und überlege, wo ich ihn in Berlin hinstellen oder laden könnte. Oder sollte ich mich lieber für einen Elektroroller entscheiden? Es ist schon kurios. Da reise ich kilometerweit in ein Dorf in Österreich und entdecke eine Art der Mobilität von der sich hoch entwickelte Städte wie Berlin eine ordentliche Scheibe abschneiden können. Sicherlich hinkt der Vergleich etwas, aber stell dir doch mal die Zukunft vor. Kein Verkehrslärm mehr, keine Emissionen beim Autofahren und statt stinkender Abgase und brummender Zapfanlage nur leise surrende Ladestationen für Elektroautos.
Renault-Twizy
Steven-auf_Elektroroller

Ohne Abgase und CO2-Emissionen nach Salzburg und zurück.

„Etwa 120 Kilometer kommt man mit einer Akkuladung eines Renault Zoe.“, versichert mir Alois mehrmals. Na das wollen wir doch mal sehen, denke ich mir schelmisch und plane eine 110 Kilometer lange Tour nach Salzburg und zurück. Kurzfristig vereinbare ich ein Treffen mit der Volunteering-Organisation, mit der ich in Uganda war, und reserviere mir ein Elektroauto.
Elektroauto-Werfenweng
Mir war bewusst, dass der Fahrstil große Auswirkungen auf den Energieverbrauch des Akkus hat. Also wähle ich für die Anreise nach Salzburg eine besonders energieschonende Fahrweise. Ich fahre über die Autobahn, stelle den Tempomat auf 90 Kilometer pro Stunde ein, fahre lange Strecken im Windschatten eines LKWs und verzichte auf elektrische Verbraucher wie Radio, Lüftung und Klimaanlage. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen: Nach 54 Kilometern hatte ich nur 13% meiner Akkuladung verbraucht. Ich war überrascht über die hohe Reichweite. Zugegebenermaßen ging es einige Streckenabschnitte auf der Strecke zwischen Werfenweng nach Salzburg bergab. Aber auf einer solch langen Strecke kann es verständlicherweise ja nicht immer bergab gehen.
Restladung_Hinweg
Nach meinem Termin in Salzburg parke ich mein Auto in der Innenstadt an einer Ladestation, gehe einen Eiskaffee trinken und kehre nach 20 Minuten zum Auto zurück. Der Akku meines Autos wurde in dieser Zeit wieder komplett aufgeladen.
Ein vollständiger Ladevorgang benötigt an einer normalen Tankstelle etwa 4 Stunden, an Highspeed-Ladestationen sogar nur 30 Minuten. Es ist also durchaus denkbar, auch längere Reisen mit einem Elektroauto zurückzulegen, wenn man achtsam unterwegs ist.
Für den Rückweg wähle ich das entgegengesetzte Modell. Ich fahre über die Landstraße und diverse Dörfer und habe demnach ein Wechselspiel aus Beschleunigung und Bremsen. Außerdem schalte ich Radio, Lüftung, Klimaanlage und sogar das Licht ein. Wie erwartet, verbrauche ich wesentlich mehr Energie. Ganze 48% habe ich nach der gleichen Wegstrecke verbraucht, also beinahe vier Mal so viel wie auf der Hinreise.
Restladung_Rückweg
Über das Ergebnis meines kleinen Tests bin ich extrem überrascht. Die Art und Weise des Fahrens hat einen sehr großen Einfluss auf den Energieverbrauch, klar, aber das bedeutet auch, dass bewusste Fahrer problemlos in der Lage wären auch längere Strecken mit dem Elektroauto zu überwinden. Rechnen wir meinen Verbrauch der Hinfahrt nach Salzburg hoch, so wäre ich bestimmt 300 Kilometer weit gekommen. Nach einer solch langen Fahrzeit, macht man doch in der Regel sowieso eine Pause. Was wäre, wenn wir in Zukunft solche Pausen für die Ladezeit des Akkus nutzen? Es beeindruckt mich wie gut die Elektromobilität inzwischen entwickelt ist und bringt mich ins fantasieren wie wir sie in den nächsten 10, 20 oder 50 Jahren nutzen. …
Ladestation-Werfenweng
In Werfenweng angekommen, parke ich meinen Renault Zoe, hänge ihn an die Ladestation und mache mich auf den Weg zum Hotel. Unterwegs treffe ich zufällig Alois. Er sitzt im Strobelhaus, einem Restaurant in der Nähe meines Hotels. Ich geselle mich zu ihm, bestelle ein Bier und erzähle ihm von meinem kleinen Experiment. Auch er ist überrascht. Und als unsere Getränke kommen, stoße ich an, auf die saubere Energie und die Zukunft der elektrischen Mobilität. Ich erzähle ihm von meinen Fantasien: Von drahtlos ladenden Elektrofahrzeugen, von Solarfahrzeugen, die nie wieder zum Laden anhalten müssen – außer in der Nacht vielleicht. Uns ist bewusst, dass wir über Utopien sprechen, aber wir finden es spannend über die Zukunft nachzudenken.
In wenigen Wochen wird Alois neue Elektroautos bestellen, um den Fuhrpark von Werfenweng zu vergrößern. Und ich bin mir sicher, dass das nicht seine letzte Bestellung sein wird.

Ich danke Markus von Österreich Werbung und dem Tourismusverband Werfenweng für die Organisation dieser Recherchereise sowie dem Travel Charme Bergresort für die Bereitstellung der Unterkunft. Meine Meinung bleibt wie immer unvoreingenommen und meine eigene.

Kommentare
  • 123energie
    18. Juli 2018, 16:38

    Hi Steven, toller Artikel, gefällt uns als Energiefans besonders! Wie schön, dass hier gleich ein ganzer Ort zur Energiewende beiträgt. Gerade der Tourismus ist ja sonst eher eine „Klimaschleuder“, trägt ca. 10 Prozent zu den weltweiten Treibhausgas-Emissionen bei. Gibt es in Werfenweng auch ein oder mehrere klimafreundliche Hotels, hast Du vielleicht in einem solchen übernachtet oder Erfahrungen damit? Wir haben für unsere Blogrubrik „#Energiewender“ gerade mit dem Besitzer eines Ökohotels gesprochen, dass unter anderem auf ein hauseigenes Blockheizkraftwerk, Solarstrom und eben auch Elektromobiliät setzt. Wenn das alle Hotels so machen würden … 🙂 Reiselustige Grüße!

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Steven Hille

Steven ist der Autor des nachhaltigen Reiseblogs Funkloch. Irgendwann dachte er sich, dass er nur noch Projekte realisieren sollte, die einen guten Nutzen haben. Aus dieser Idee heraus sammelte er Spenden für ein Tigerbaby, unterstützte ein nationales Bienenprojekt, baute einen Brunnen in Uganda und gründete mit Freunden die NGO WeWater, die sich für sauberes Trinkwasser einsetzt.

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