Der Tag, an dem ich lieber keinen Schweinswal gesehen hätte

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29 Jun

Der Tag, an dem ich lieber keinen Schweinswal gesehen hätte

29. Juni 2018

Der Tag, an dem ich lieber keinen Schweinswal an der Nordsee gesehen hätte

Der Wind pfeift in Böen und mit hoher Geschwindigkeit durch die Friedrichstraße auf Sylt. Nieselregen sprüht in mein Gesicht. Die meisten Urlauber haben es sich in Restaurants und Cafés gemütlich gemacht. Es ist schrecklich ungemütlich, doch uns zieht es an die Küstenlinie der Nordsee. Vom Ufer aus wollen wir Schweinswale erspähen. Der Sommer ist dafür die ideale Jahreszeit. Eigentlich.

Wir, das sind Walforscher Fabian Ritter, Laura von herzanhirn, Ela von Whale and Dolphin Conservation (WDC) und ich. Fabian arbeitet als Kampagnenleiter „Meere schützen“ bei WDC, hat Meer e.V. gegründet und unterstützt die Internationale Walfangkommission (IWC) als wissenschaftlicher Berater.

Als wir den Zugang zum Westerland Hauptstrand erreichen, werden unsere Befürchtungen bestätigt. Der Nordwestwind in Stärke sechs hinterlässt auf der Nordsee deutliche Spuren. Graue Wassermassen türmen sich auf, überschlagen sich und schäumen beim Auftreffen an der Küste.

Fabian ist sich unsicher, ob wir bei diesem Schietwetter überhaupt einen einzigen Schweinswal beobachten können. Doch wir versuchen unser Glück, bleiben über der Strandpromenade stehen und starren auf das Meer. Erfolglos. Schweinswale werden nur 1,4 bis 1,9 Meter groß. Entsprechend klein sind ihre dunklen Rückenflossen, die im stürmischen Meer nicht zu sehen sind. Bei diesem Wellengang sind sie unmöglich zu entdecken, obwohl sie sich sehr wahrscheinlich in Ufernähe aufhalten. „330.000 Schweinswale gibt es in der Nordsee“,  sagt Fabian.

„40.000 in der deutschen Nordsee“. Im Vergleich dazu ist die Population in der zentralen Ostsee mickrig. Nur noch 450 Schweinswale leben nach aktuellen Schätzungen Schätzungen in der Ostsee östlich vom Darß. Die Population ist im Laufe der Jahre so klein geworden, dass der kleinste Wal unseres Planeten dort vom Aussterben bedroht ist.

Dort, ein Schweinswal!

Fabian hebt den Arm und zeigt nach oben. „Dort, ein Schweinswal!“ Wir sitzen inzwischen in einem Café, essen Waffeln und Eis. Der sympathische Walexperte zeigt auf eine Kreidetafel. Dort ziert eine Walsilhouette die Tagesangebote. Zählt das?

Währenddessen stößt Anne zu uns. Sie ist Rangerin im Nationalpark Wattenmeer auf Sylt. Heute wird sie uns einige Zeit begleiten. Wir entscheiden uns dazu einen Rundweg zu diversen Waltafeln zu machen. Sie informieren Touristen und geben nützliche Informationen über die Schweinswale vor Ort.

 

Ein spontaner Anruf mit schlechten Nachrichten

Kurz bevor wir südlich der Friedrichstraße in den Strandbereich stoßen, erhält Fabian einen Anruf. Ein toter Schweinswal wurde am Strand von Samoa angespült. Er fragt, ob wir nach Samoa fahren wollen. Schweigen. Niemand ist froh über die Nachricht. Seit Wochen freue ich mich auf diesen Kurztrip an die Nordsee. Wale sind meine absoluten Lieblingstiere. Schon immer. Liebend gerne hätte ich heute im seichten Wasser der Nordsee einen Schweinswal beobachtet. Doch einen toten Wal sehen? Das ist nicht das Gleiche.

Dennoch entscheiden wir uns für die Fahrt nach Samoa. In wenigen Minuten sind wir am Busbahnhof. Kaum sind wir eingestiegen, fährt der Bus ab. Nach 15 Minuten erreichen wir Samoa. Die graue Wolkendecke zieht sich mehr und mehr zu. Es wird ungemütlicher. Mit dem Fernglas erspäht Fabian, dass wir einen guten Kilometer in Richtung Norden müssen. Und dort liegt er: Ungeachtet von spazierenden Urlaubern. Keine Menschenansammlung, keine Trauergemeinde. Der kleine Wal liegt mutterseelenalleine im Sand. Nur einige Möwen haben in den letzten eineinhalb Stunden ganze Arbeit geleistet und sich an dem Schweinswal zu schaffen gemacht. Sie haben seine Zunge, Augen und Wangen gefressen. Ein grausamer Anblick. Aber so ist die Natur: Nichts geht verloren.

Woran der Wal gestorben ist, kann Fabian nicht erkennen. Es gibt keine offensichtlichen Anzeichen. Aber er sieht sofort, dass es sich um ein weibliches Jungtier handelt. Vermutlich im letzten Jahr geboren, weniger als einen Meter groß. Es ist ein trauriges letztes Kapitel in einem kurzen Leben. Zwölf Jahre oder mehr hätte sie gut und gerne vor sich gehabt. Vor Ort sage ich nicht viel. Wie in Trance starre ich auf den Kadaver. Meine Augen wandern den ganzen Körper ab. Von der Fluke bis zur Schnauze. Ich sehe dutzende kleine Zähne und erkenne den von den Möwen freigelegten Kiefer, mit dem sich Schweinswale via Echolot orientieren. Ich erkenne die dicke Fettschicht, die das Tier vor den kalten Gewässern schützt. Ich erahne am Unterleib die kleinen Falten, hinter denen sich die Zitzen verbergen und mit denen Schweinswale unter Wasser säugen können. Ich bestaune die weiß-graue Färbung. Was für ein schönes Tier. Ein Tier, das unbedingt mehr Schutz benötigt.

 

Das kannst du tun, um Schweinswale zu schützen

Um das Leben der Schweinswale zu schützen, gelten viele bekannte Nachhaltigkeitstipps aus dem täglichen Leben, aber auch einige Spezialtipps. Hier die wichtigsten fünf.

1. Durch die Vermeidung von unnötigem Müll und vor allem Plastik hast du einen Einfluss auf die Menge Plastik, die schlussendlich im Meer landet. Deine Hilfe ist in allen Lebenslagen – vom Coffee-to-go bis zur Zahnbürste aus Holz – gefragt.

2. Kaufe Fische nur aus nachhaltiger und nachweislich delfinfreundlicher Fischerei. Weitere Informationen dazu findest du im Fischratgeber von Greenpeace.

3. Trenne deinen Müll und entsorge ihn fachgemäß. Selbst ein kleines Bonbon-Papier kann durch den Wind in einen Fluss und somit ins Meer gelangen.

4. Jede Walbeobachtung, jeder Totfund und die Meldung darüber hilft der Forschung. Tote Tiere können nur, wenn sie besonders schnell geborgen werden, auf die Todesursache untersucht werden. Daher solltest du schnell handeln. Beobachtungen von lebenden Tieren helfen der Forschung und helfen das Leben der gigantischen Säugetiere besser zu verstehen. Melden kannst du deine Beobachtungen hier. Besonders praktisch ist, dass alle gemeldeten Sichtungen hier kartographiert werden. So hast du eine gute Übersicht über ideale Walbeobachtungsorte.

5. Unterstütze die Arbeit von WDC oder anderen Organisationen. Seit Januar 2017 bin ich beispielsweise Orca-Pate bei WDC. Dafür spende ich monatlich einen kleinen Betrag, erhalte Informationen über „meinen Orca“ und finanziere die wertvolle Arbeit der Organisation. Das eignet sich auch super als Geschenk!
 

Was tun, wenn du einen gestrandeten Wal findest

In erster Linie ist es wichtig schnell zu reagieren und professionelle Hilfe zu rufen. Du solltest niemals versuchen einen Wal eigenhändig oder mit einer Gruppe anderer ins Meer zu ziehen. Denn es besteht die Gefahr, dass du dem Tier aufgrund seines hohen Gewichts Schaden zufügst. Bei einem kleinen Schweinswal ist das Problem nicht so groß, dennoch solltest du dich rückversichern. Auf Sylt sind die sogenannten „Seehundjäger“ zu informieren, die auch bei Kegelrobben oder Seehund-Beobachtungen am Strand unter 0160/8429413 zu alarmieren sind. Auch die Schutzstation Wattenmeer kann in diesem Fall unter 04651 / 881 093 erreicht werden. Während du wartest, solltest du einen lebendigen Wal unbedingt feucht halten.

(C) WDC – Charlie Phillips

 

Diesen Gefahren sind Schweinswale in Nord- und Ostsee ausgesetzt

1. BEIFANG
Fischernetze sind die größe Bedrohung für die Schweinswale der Nord- und Ostsee. Da sie in Bodennähe auf Nahrungssuche sind, verfangen sie sich besonders häufig in Stellnetzen und verenden dort grausam durch Ersticken.

2. LÄRM
Die Schifffahrt, der Bau von Windkraftanlagen im Meer und das Militär produzieren jede Menge Lärm. Dieser Lärm vertreibt Schweinswale aus ihren Habitaten oder führt zu Stress und Tod.

3. ÜBERFISCHUNG
Schweinswale benötigen besonders viel Energie und sind im Gegensatz zu vielen anderen Walarten permanent am Fressen. Die Überfischung der Weltmeere stielt den Tieren die Nahrungsgrundlage für ihren intensiven Stoffwechsel.

4. LEBENSRAUMZERSTÖRUNG
Weltbekannt sind die Fischkutter der Nordsee, die während ihrer Fangfahrten mit Schleppnetzen so allerlei Fische, Garnelen und Krebse an die Oberfläche fördern. Allerdings wird dadurch der gesamte Meeresbogen umgepflügt und zerstört. Das gesamte Ökosystem ist in Gefahr. BTW: Ein Kilogramm Krabben führt zu acht Kilogramm Beifang.

5. KLIMAWANDEL
Der Klimawandel selbst sorgt durch den Temperaturanstieg auch für eine Erwärmung der Weltmeere. Das beeinflusst das Verhalten vieler Meeresbewohner. Fischschwärme können in andere Gewässer ziehen. Den Schweinswalen bleibt nichts anderes übrig, als dem Nahrungsangebot zu folgen oder zu verhungern.

6. VERSCHMUTZUNG
Über die Flüsse gelangen tonnenweise Abfälle, Chemikalien aus der Landwirtschaft und natürlich auch Plastik ins Meer. Etwa elf Kilogramm Plastikmüll befinden sich pro Quadratkilometer auf dem Meeresgrund der Nordsee. Da Wale am Ende der Nahrungskette stehen, nehmen sie jede Menge Mikroplastik auf oder verwechseln Plastikmüll gar mit essbaren Meerestieren.

9 kuriose Fakten über Schweinswale

1. Schweinswale sind die kleinsten Wale unseres Planeten.

2. Generell sind Schweinswale nicht gefährdet, allerdings ist die Population in der Ostsee vom Aussterben bedroht.

3. Jedes Jahr sterben mehr Schweinswale, als welche geboren werden.

4. Und das, obwohl weibliche Schweinswale quasi nur am Nachkommen gebären und aufziehen sind. Jedes Jahr wird ein Jungtier geboren. Während dieses noch gesäugt wird, befindet sich schon der neue Nachwuchs im Leib der Mutter.

5. Schweinswale werden immer häufiger in den Flussmündungen von Weser, Elbe oder Ems oder sogar tief bis in die Flüsse hinein beobachtet. Vermutlich sind sie dort auf Nahrungssuche.

6. Ab 160 dB erleiden Schweinswale Hördefekte. Ein gewöhnlicher Tanker produziert bereits Lärm in Höhe von 169 dB.

7. Schweinswale haben auf die Körpergröße bezogen die größten Penisse im Tierreich.

8. Schweinswale werden hin und wieder auch von Kegelrobben, Delfinen und auch von Orcas (natürlich nicht in der Ostsee) gejagt.‬

9. Vor Sylt ist das einzige spezifische Schweinswal-Schutzgebiet Deutschlands bzw. der Nordsee. Es war mit der Gründung 1999 das erste Walschutzgebiet Europas. Dort werden einige Schutzmaßnahmen umgesetzt, die allerdings nicht sehr weitreichend sind.

Vor Sylt kannst du mit etwas Glück die Schweinswale im Sommer auch aus dem Kanu beobachten. So sah das vor einem Jahr bei Fabian aus.



Offenlegung:
Bereits seit Januar 2017 unterstütze ich WDC mit einer kleinen monatlichen Spende. Das mache ich, weil ich die Arbeit der Organisation sehr wichtig finde und schätze. Unabhängig davon wurde ich von WDC und dem Nationalpark Wattenmeer im Juni 2018 zur Schweinswalbeobachtung nach Sylt eingeladen. Beide Organisationen fördern durch diverse Maßnahmen den Schutz der Schweinswale. Da mir Tierschutz sehr am Herzen liegt, bin ich der Einladung gefolgt und habe diesen Beitrag geschrieben. Meine Meinung wurde von der Einladung nicht beeinflusst.

Copyright Titelbild: WDC

Kommentare
  • Torsten
    2. Juli 2018, 19:29

    Hallo Steven,
    ein interessanter Artikel über Schweinswale, wenn auch mit einem tragischen Erlebnis. Aber so etwas gehört dazu. Durch diesen Artikel habe ich deinen Blog gefunden. Ich schreibe u.a. auch über Natur und Nachhaltigkeit. Schön, einmal ein gleichgesinntes Blog zu treffen.
    Beste Grüsse Torsten

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Steven Hille

Steven ist der Autor des nachhaltigen Reiseblogs Funkloch. Irgendwann dachte er sich, dass er nur noch Projekte realisieren sollte, die einen guten Nutzen haben. Aus dieser Idee heraus sammelte er Spenden für ein Tigerbaby, unterstützte ein nationales Bienenprojekt, baute einen Brunnen in Uganda und gründete mit Freunden die NGO WeWater, die sich für sauberes Trinkwasser einsetzt.

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