Lozère: Urlaub in Südfrankreich? Von wegen! #francenature (5/5)

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5 Jun

Lozère: Urlaub in Südfrankreich? Von wegen! #francenature (5/5)

5. Juni 2016

Im Sommer 2015, heidewitzka ist das schon lange her, war ich auf der Suche nach den besten Naturregionen Frankreichs. Mein letztes Abenteuer führte mich in das Département Lozère, das ich schon bestens im Vorjahr kennenlernte. Eine Reise mit unglaublich vielen Erlebnissen führte mich damals durch die Vogesen, das Département Eure et Loir, auf die Inseln der Filmstadt Cannes und in das Hinterland der Côte d´Azur.
Vorher: Vogesen, Eure et Loir, CannesCôte d´Azur
Jetzt: Lozère


„Wenn du Urlaub in Südfrankreich machen willst, dann bist du in der Lozère entweder goldrichtig oder komplett falsch“, erkläre ich meinen Mitfahrern auf dem Weg zu unserem Campingplatz. Meine Worte, die aus dem Munde eines geistig verwirrten Menschen hätten stammen können, leuchten mir auch noch heute ein.
lozere-brücke
Im Jahr zuvor hatte ich schon einmal die Gelegenheit, die Lozère zu bereisen, daher weiß ich genau wovon ich spreche. Urlaub ist für mich pures Abschalten vom Alltag, mal rauskommen, auf andere Gedanken kommen. Gerne versuche ich dabei so viel körperliche Anstrengung zu erleben, wie es eben nur geht, um damit einen Ausgleich zu den kognitiven Belastungen des Alltags zu finden. Egal, ob mit dem Kanu, dem Fahrrad oder zu Fuß. Es kann nicht weit und nicht abenteuerlich genug für mich sein. Daher ist die Lozère für mich goldrichtig.
Das komplette Gegenteil trifft auf Menschen zu, die im Urlaub abschalten wollen, in dem sie am Strand liegen, sonnenbaden und an einer herrlichen Strandpromenade spazieren wollen. Sie werden einen Urlaub in der Lozère nicht mögen, dafür ist ihnen dort zu wenig los. Denn die Lozère ist wild, karg, oft vernebelt und immer näher am nächsten Abenteuer, als man es sich vorstellen kann. Abenteurer und Outdoorhelden, die jeden Tag eine neue Challenge suchen, werden die Lozère nie wieder verlassen wollen.
Und genau aus diesem Grund sind wir hier. Zwar haben wir durchaus vor die Lozère irgendwann wieder zu verlassen, jedoch wollen wir ein grandioses Männerabenteuer wagen. Mit den Kanus wollen wir den Tarn passieren, eine Höhle durchqueren, an glipschigen Felsen entlang klettern, viel zu Fuß gehen und einen Sprung aus 107 Meter Höhe wagen. Zunächst hatten wir geplant in Zelten zu schlafen und alles was wir benötigen stets bei uns zu tragen, doch dann kam alles anders. Einfach alles …
 

Die Ankunft in der vermeintlichen Wildnis der Lozère

Meine Freunde Oli und Marco sammle ich vom Bahnhof in Avignon ein und mache sie heiß auf die folgenden Tage. Jede Menge Erinnerungen kommen zurück von meiner letzten Reise durch Südfrankreich. Ich bin damals mit dem E-Bike durch die Cevennen geradelt, bin todesmutig in einen Siphon beim Canyoning gesprungen und habe gelernt, wie eine Balance zwischen Leben, Arbeit und der Natur aussehen kann.
Aufgeregt wie ein kleines Kind plappere ich vor mir her und erzähle den beiden, was wir alles erleben werden. Plötzlich verstumme ich.
Ob wir Marc und Michael treffen werden? Die beiden Ex-Kölner hatte ich ebenfalls ein Jahr zuvor kennengelernt. Ihr Aussteigerleben als wundervolle Gastgeber einer Pension im Vier-Seelen-Dorf Trémiejols hatte mich fasziniert. Sofort beschließe ich, ein Abendessen mit den beiden zu vereinbaren.
 

Kastanienmarmelade, eine frische Sommernacht und der verlorene Freund

Marc war es, der mir damals meine erste Kastanienmarmelade als Vorspeise in seiner Pension servierte. Kastanienmarmelade? Davon hatte ich vorher nie gehört. Der Geschmack der Kastanienmarmelade ist gewöhnungsbedürftig, unglaublich cremig, nussig-melig, aber dennoch süß. Ich mag sie inzwischen sehr, obwohl es kein Brotaufstrich ist, den ich genauso kiloweise wie diese fabelhafte Nuss-Nougat-Creme eines italienischen Herstellers essen könnte.
Als wir den Campingplatz „Camping du Pré Morjal“ in Ispagnac erreichen und den Kühlschrank unseres riesigen Zeltes öffnen, da finde ich sie: Kastanienmarmelade.
kastanienmarmelade
Überstürzt öffnet Marco ein paar Lebensmittel und nascht französische Köstlichkeiten. Der Mond steht weit oben am Himmel, sein heller Schein erhellt den ganzen Campingplatz. Es ist frisch in dieser Spätsommernacht. Wir trinken Bier und Weißwein, essen Käse, Brot sowie ein ganz spezielles Kartoffelpüree und tauschen uns aus. Ewig haben wir uns nicht mehr gesehen. Doch einer fehlt in unserer Runde: Timo. Irgendwo auf dem Atlantik schippert er noch in einem Segelboot in Richtung Festland. Vor einigen Tagen hätte er schon in Brest an Land gehen sollen. Doch ein launischer Skipper hatte sich nach einem Whiskey umentschieden und den guten Timo einfach mit nach Guernsey genommen.
 

Richtige Männer haben keine Angst. Oder doch?

Doch Timos Fernbleiben war nicht das einzige was uns Sorgen bereitete. Es stand ein Bungeejump aus 107 Metern Höhe an. In der Vorbereitung der Reise gingen wir damit entspannter um. Kanutour durch den Tarn, Höhlenklettern und Via Ferrata. Alles kein Problem. Doch vor dem Bungeejump gruselt es uns. Oli ist der einzige, der es mit Gelassenheit nimmt. Nach einer Kanutour über den mit Nebelschwaden behangenen Tarn gastierten wir in Saint Enimie auf dem Campingplatz des Gorges du Tarn.
Für den Nachmittag ist unser Bungeejump angesetzt. Draußen hat sich eine dicke graue Wolkendecke über die Hochplateaus der Lozère gesetzt. Wir sitzen in unserem Wohnwagen und gruseln uns vor dem Sprung aus 107 Meter Höhe. Um herauszufinden wer als erstes Springen muss, ziehen wir Streichhölzer.

Am Nachmittag ist es dann soweit. Wir ziehen uns um und überlegen unsere Sprungtaktiken. Als wir im Auto sitzen, beginnt es zu stürmen, zu regnen und zu gewittern. Ohne, dass es jemand ausspricht, ist uns klar: Der Sprung wird nicht stattfinden. Erleichterung macht sich in uns breit, jedoch will es keiner so richtig zugeben.
 

Willkommen bei Freunden

Wir fahren zurück zu unserer Unterkunft, holen unsere Sachen und fahren zum Bauernhof La Ferme des Cévennes.
ziegenbauernhof
Der Ziegenbauernhof wird uns eine Nacht aufnehmen. Als ich die schwere Holztür des hunderte Jahre alten Gast- und Bauernhauses öffne, erstreckt sich vor meinen Augen das wohl urig-schönste Gebäude, das ich jemals gesehen habe. Das Haus ist komplett in den Felsen hinein gebaut. Etwas Wasser läuft an den Felsen in der Raummitte hinunter. Es verschwindet unter meterdicken Dielen. Auf der rechten Seite befindet sich der Ziegenstall. Direkt vor mir erstreckt sich ein staubiger Holztisch auf dem einzelne Laibe Ziegenkäse zum Verkauf angeboten werden. Niemand ist zu sehen.
ziegenstall
ziegenkäse
„Salut?“
„Bonjour?“
Keine Antwort. Wir nehmen eine Holztreppe hinauf. Jedes Mal, wenn wir in diesem Haus um eine weitere Ecke schauen, stockt mir der Atem. Dieses Haus ist so großartig, das kann man nicht in Worte fassen. Es riecht nach Holz und der Feuchtigkeit des Regens. Das Wasser tropft an diversen Stellen durch die Decken und rinnt an den Felsen entlang, die so symbiotisch zum Haus gehören wie Putzerfische zu Haien.
Nach wenigen Minuten treffen wir eine alte grauhaarige Dame, die uns durch weitere Gänge, über knarrende Holztreppen in unser riesiges Zimmer bringt.
Nach kurzer Verschnaufpause fahren wir weiter. Unsere Einladung in die Bastide de Trémiejols zu Marc und Michael steht aus. Die Straßen bis nach Trémiejols sind nur durch unsere Mithilfe zu passieren. Der Tarn hat innerhalb kürzester Zeit die drei- bis viefache Füllmenge erreicht. Das Regenwasser spült Schlamm und umzugskartongroße Felsen auf die Straße. Oft müssen wir ausweichen, manchmal sogar aussteigen, um die Straße frei zu räumen. Irgendwann sind wir da und treffen Marc und Michael bei bester Laune wieder. Sie leben gerade mit zwei Freunden und deren Hunden in der Bastide. Marc, ein ehemaliger Spitzenkoch, hat für uns gekocht. Es ist ein Abend, der mir wohl nie wieder aus dem Gedächtnis gehen wird. Es ist ein sagenhaft schönes Gefühl Freunde auf der ganzen Welt zu haben und genau zu wissen, dass man sie jederzeit besuchen kann. Über die sozialen Netzwerke sind wir im letzten Jahr in Kontakt geblieben und knüpfen dort an, wo wir aufgehört haben. Direkt nach unserer Ankunft können Oli und Marco meine Schwärmereien über das Dorf Tremiejols, das mit Marc und Michael nur vier Einwohner hat, verstehen. Hier hinten, am Ende der Welt, da hast du deine Ruhe, lebst entspannt in der Natur und kannst mal die Seele baumeln lassen. Zumindest trifft das für die Gäste der Bastide zu. Marc und Michael sind ziemlich viel am malochen, damit es ihren Gästen gut geht. Aber man merkt es ihnen kaum an.
michael
marc
essen-marc-michael
 
Noch bevor wir mit dem Essen beginnen, schwinge ich mich wieder in den Mietwagen und hole Timo von einem nahegelegenen Bahnhof in Génolac ab. Der Gute ist seit fast zwei Tagen mit diversen Transportmitteln von Guernsey auf dem Weg zu uns nach Südfrankreich.
Übermüdet und ziemlich fertig sammle ich ihn am Bahnhof ein. Die Tatsache, dass sein letzter Skipper nach diversen Whiskey grob fahrlässige Entscheidungen traf, steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er braucht jedoch nur wenige Stunden und ein paar Gläser Wein, um darüber hinweg zu kommen und sich auf die Lozère einzustellen.
Auf der Autofahrt habe ich ihm die Besonderheit der Zweiteilung der landschaftlichen Natur der Lozère erklärt. Es gibt hier die Tarnschluchten, in denen sich der Tarn entlang schlängelt und die Hochplateaus der schroffen Felsen. Unterschiedlicher können beide Bestandteile dieses landschaftlichen Mixes kaum sein. Die Hochplateaus sind sonnenklar, voller Wiesen und Felder, die Schluchten hingegen karg, grau und mit dichten Wäldern bewachsen.
 

Panik auf dem Klettersteig der Via Ferrata de Rousses

Mehrere Flaschen Wein später liegen wir in unserem gigantischen Zimmer im Bauernhof. Der Wind drischt den Regen gegen die Scheiben. Es blitzt und donnert. Die Stimmung dieser Spätsommernacht könnte kaum mystischer sein. Der reichhaltige Konsum des guten Weins tut sein übriges.
Am nächsten Morgen wollen wir in den Fluss zum Canyoning. Aufgrund der starken Regenfälle müssen wir auch dieses Abenteuer begraben. Stattdessen führt uns Fabien auf den Klettersteig der Via Ferrata de Rousses. Der Himmel ist ein weiteres Mal nebelverhangen, sanfter Nieselregen breitet sich auf meinem warmen Gesicht aus. Etwas zittrig lege ich mir die Gurte um und warte auf den passenden Moment, um meinen Mitreisenden zu sagen, dass ich die Höhe nicht sonderlich gut vertrage.
nebelschwaden
seilbahn
Schon seit meiner Kindheit habe ich Höhenangst, die sich immer nur dann zeigt, wenn ich an der frischen Luft bin und die Gefahr besteht in die Tiefe zu stürzen. Ein Besuch des Fernsehturms – kein Problem. Über nasse Felswände klettern und unten den brausenden Massevaques hören, wie er darauf wartet mich zu verschlingen und bis ans Ende der Welt zu spülen – großes Problem.
Ja, meine Höhenangst ist so groß, dass mich bis heute Albträume plagen, die davon handeln, wie ich meinen kleinen Bruder wochenlang unter einer Zirkustribüne besuchen und versorgen muss, weil er nach einem gemeinschaftlichen Zirkusbesuch dort einfach runtergefallen ist und wohl nie wieder rauskommen wird. So der Traum.
Das hier ist die brutale Realität. Fabien, unser gut gelaunter Guide, wittert meine Angst schon nach wenigen Minuten. Während sich die anderen Herrschaften mutig für die abenteuerliche Kletteroute entscheiden, wäre ich viel lieber den Kinderpfad geklettert. Aber da muss ich jetzt durch. Ich lasse die anderen vor und klettere ihnen entspannt nach. Das klappt gut. Nur mit ihrer Ungeduld kann ich nicht umgehen, sie setzt mich unter Druck, so dass ich an einer besonders rutschigen Stelle abrutsche und in meinem schützenden Karabiner hänge. Das gute Stück Metall trägt mich also. Dann kann es ja nicht schlimmer werden. Zum Glück haben die anderen es nicht gesehen.
Doch dann passiere ich eine Seilbrücke. Da ist sie wieder, die Angst zwischen den Brettern hindurch zu fallen. Dreißig Zentimeter breit sind sie etwa. Trotz bestem Frühstück und grandiosem französischen Essen in den letzten Wochen redet mir mein Gehirn ein, dass ich dort bequem durch passe. Ich glaube es, als Fabien hinter mir zum Spaß anfängt zu wippen. Zum Spaß! Pah. Ich werde kreidebleich, klammere mich an das Drahtseil als gäbe es kein Morgen und feuere eine Ladung Schimpfwörter hinaus. Danach geht’s mir besser und der Klettersteig macht mir nur noch halb so viel Angst. Manchmal muss man sich seinen Ängsten eben stellen.
Die Erfahrungsberichte von Oli und Marco gibt es hier und hier
 


 
 
Meine Reise durch Frankreich wurde in erster Linie von Atout France unterstützt und ermöglicht. Außerdem durfte ich auch auf die Unterstützung zahlreicher regionaler Unternehmen zählen. Ziel der Reise war es Eindrücke über das Reisen in der Natur in Frankreich zu sammeln.
 
Impressionen und Ergebnisse präsentierte ich am 29. Oktober 2015 im Workshop Natur- und Aktivreisen in Frankfurt am Main.
 
Meine Meinung wurde durch die Unterstützung nicht beeinflusst und bleibt meine eigene.

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Steven Hille

Steven ist der Autor des nachhaltigen Reiseblogs Funkloch. Irgendwann dachte er sich, dass er nur noch Projekte realisieren sollte, die einen guten Nutzen haben. Aus dieser Idee heraus sammelte er Spenden für ein Tigerbaby, unterstützte ein nationales Bienenprojekt, baute einen Brunnen in Uganda und gründete mit Freunden die NGO WeWater, die sich für sauberes Trinkwasser einsetzt.

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