Industrie 4.0 und Nachhaltigkeit

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19 Mai

Industrie 4.0 und Nachhaltigkeit

19. Mai 2016

Schließt eure Augen und stellt euch eine Fabrik vor. Die Fabrik ist voll mit Maschinen und es rumpelt und rattert. Roboterarme heben Bauteile von links nach rechts, pressen sie zusammen und hauen darauf herum. Maschine A funkt Maschine B an, dass sie kurz warten soll, da sich ein Bauteil verhakt hat. Maschine C bestellt von allein ein Ersatzteil in einem Onlineshop des Lieferanten, weil ein Zahnrad in 5 Tagen verschlissen sein wird. Kunden können hochindividualisierte Produkte produzieren lassen. Menschen gibt es nicht viele in der Fabrik. Ein paar laufen mit Tablets herum und überwachen, was in der Halle passiert. Manche haben auch spezielle Brillen auf. Über Augmented Reality können sie sehen wo sich welches Produkt befindet. Im Lager wird über die Augmented Reality Brille angezeigt, welches Produkt in welchem Paket ist und wo es hin geliefert werden soll…all das gehört zur Zukunft der Fabrik. Produktion wird Smart.
 
In letzter Zeit beschäftige ich mich beruflich viel mit dem Thema Industrie 4.0. Hierbei handelt es sich um einen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geprägten Begriff für die vierte industrielle Revolution. Im Rahmen dieses Beitrags versuche ich nun herauszufinden, wie nachhaltig dieses Konzept ist und was für nachhaltige Potenziale Industrie 4.0 birgt.
 

Was ist Industrie 4.0?

Nachdem in der letzten industriellen Revolution die Informationstechnik und Digitalisierung in die Fabriken Einzug gehalten hat, geht es nun noch einen Schritt weiter. Die virtuelle und die reale Welt verschmelzen. Ein wichtiges Stichwort ist hier das Internet der Dinge. Nicht mehr nur Computer und Smartphones kommunizieren über das Internet, sondern auch Häuser (Smart Home), Autos (Smart Car) oder eben Fabriken (Smart Factory).
 

„Die Digitalisierung verwandelt praktisch jeden Gegenstand, jedes Gerät und jede Maschine in einen Internetknotenpunkt, der mit anderen kommuniziert.“

 
Dies führt zu spannenden Möglichkeiten für Unternehmen. So können datenbasierter Zusatzdienstleistungen wie Wartungsservices angeboten werden und die kundenindividuelle Produktion (Customizing) wird immer lukrativer – hier spielen auch Technologien wie der 3D Druck eine wichtige Rolle. Industrie 4.0 steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Es gibt großen Forschungsbedarf, um diese Vision wirklich werden zu lassen. Nichtsdestotrotz nehmen bereits 91 % die Digitalisierung in der Produktion als Chance wahr. Industrie 4.0 birgt enormes Wachstumspotenzial für die Wirtschaft und ermöglicht einzelnen Unternehmen effizienter zu arbeiten, zusätzliche Dienstleistungen anzubieten und individuell auf Kundenwünsche einzugehen. Bis 2020 will die deutsche Industrie 40 Milliarden Euro pro Jahr in Anwendungen von Industrie 4.0 investieren.
Vier Stufen der industriellen Revolution
Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung
 
 

Der Einfluss auf die Mitarbeiter

Die erste Reaktion auf diese Veränderungen in der Produktion ist oft: und was ist mit den Jobs der Fabrikarbeiter? Die Wahrheit ist: Die Arbeitswelt wird sich verändern.
Sicherlich wird der Fabrikarbeiter immer weniger gebraucht. Die Aufgaben werden nach und nach von intelligenten Maschinen übernommen. Das kann man durchaus kritisieren. Digitale Arbeitslosigkeit nennt man das. Aber es gibt auch andere Sichtweisen. Meine Meinung ist: Die Welt hat sich schon immer verändert und nur weil es sich verändert, ist es nicht unbedingt schlechter – es verlagert sich. In der heutigen Arbeitswelt (nicht nur in der Produktion) müssen Mitarbeiter immer flexibler werden. Die Lebensläufe sind nicht mehr so linear wie noch vor 50 Jahren. Tätigkeitsbereiche werden sich verändern und man lernt nie aus. So werden zwar an den Maschinen Stellen eingespart, die woanders aber dringend gebraucht werden. Im Paper Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 des Arbeitskreises Industrie 4.0 heißt es dazu:

            „Die Mitarbeiter können sich auf die kreativen, wertschöpfenden Tätigkeiten fokussieren, da sie von Routineaufgaben entlastet werden. Die Beschäftigten spielen damit die entscheidende und vor allem die qualitätssichernde Rolle. Gleichzeitig bieten flexible Arbeitsbedingungen Möglichkeiten zur verbesserten Vereinbarkeit mit   individuellen Bedürfnissen.“

 
Besonders im Bereich Softwarentwicklung und Datenanalyse nimmt laut einer Studie der Unternehmensberatung Price Waterhouse Coopers der Bedarf an Mitarbeitern immer weiter zu.
 
 

Und was ist mit der Umwelt?

Die Digitalisierung führt häufig zu nachhaltigen Effekten. Papierlose Prozesse schonen den Regenwald, durch die detailgenaue Planung anhand von Echtzeitdaten kann ressourceneffizienter produziert werden und so werden CO2 Emissionen verringert. So kann Industrie 4.0 einen Beitrag zu nachhaltigem Wirtschaften leisten.
 
Noch bis vor einigen Jahren, war die Ressourcenplanung im fertigenden Gewerbe schwieriger, da es kaum möglich war kurzfristige Änderungen in der Fertigung umzusetzen. Wollte ein Kunde mehr oder weniger von einem Produkt haben, gab es so einiges an Aufwand. Eventuell mussten Überschussprodukte entsorgt oder aufwendig gelagert werden. Da in der Vision von Industrie 4.0 alle beteiligten Systeme und Maschinen miteinander kommunizieren können, ist es möglich noch im Prozess oder zumindest in kurzen Zeiträumen die Mengen zu reduzieren oder zu erweitern. Stark vereinfacht: Das Bestellsystem informiert das Produktionssystem und zack: Hat man nur noch 500 Quietscheenten statt 1.000. Auch werden nur die Materialen und Ressourcen bestellt, die man wirklich braucht. Durch die genaue Datenerfassung und -kommunikation ist eine präzise Planung möglich.
Die EU-Kommission sieht in der vierten Industriellen Revolution die Chance umweltfreundliche und sozial nachhaltige Produkte zu fördern. Neue Technologien sollen dabei helfen wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Wertschöpfungsketten aufzubauen. Die folgende Grafik zeigt, welche Auswirkungen die Digitalisierung der Berliner Industrie auf Energieverbrauch, CO2 Emissionen, Wasseraufkommen und abgeleitetes Abwasser hatte. Industrie 4.0 unterstützt diesen positiven Abwärtstrend noch weiter.
urbanverträglichlich-moderner-produktion
Quelle: IHK Berlin
 
Wie genau die Nachhaltigkeitsstrategie zu Industrie 4.0 aussieht, ist jedoch fraglich. In meiner Recherche konnte ich kein ausgearbeitetes Nachhaltigkeitskonzept finden. Doch der Forschungsbedarf wurde erkannt. Das Institute for Advanced Sustainability Studies Potsdam e.V. (IASS) untersucht in dem Projekt Nachhaltigkeitsaspekte von Industrie 4.0 das Nachhaltigkeitspotential von Industrie 4.0 vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Herausforderungen wie Klimawandel oder Energiewende.
 

Fazit zur Nachhaltigkeit der Industrie 4.0

Ich möchte und kann in diesem Fall (noch) kein Fazit ziehen. Zwar ist der Digitalisierungstrend schon seit einigen Jahren auf dem Vormarsch, jedoch wird die Vision der Industrie 4.0 nur Schrittchen für Schrittchen umgesetzt. Dass es ein bisschen dauert hat verschiedene Gründe – unter anderem fehlt es an Standardisierung, um auch verschiedene Unternehmen miteinander vernetzen zu können.
Die Beteiligten Unternehmen, die Verbände und auch die Politik stehen vor der Herausforderung nicht nur die wirtschaftlichen Potenziale dieser Entwicklungen vor Augen zu haben, sondern auch die sozialen und ökonomischen Aspekte zu berücksichtigen. Wie bei allen Neuerungen gibt es Chancen und Risiken. Es gilt die Mitarbeiter aktiv in Prozesse einzubeziehen und früh das benötigte Wissen aufzubauen. Es gilt alternative Arbeitsplätze zu schaffen. Außerdem ist ein umfassendes Nachhaltigkeitskonzept von Nöten, um die ressourcenschonenden Potentiale von Industrie 4.0 voll auszuschöpfen.
Ich bin gespannt, wo die Reise hingeht.
 
Titelbild: Shutterstock

Kommentar
  • Christopher Seidel
    28. April 2021, 11:17

    Super geschriebener und informativer Artikel :-). In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen

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Johanna

Johanna lebte 2014/15 während ihres Studiums der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation fast ein Jahr in Valencia. Mittlerweile arbeitet sie als New Work- und Digital Transformation Beraterin in ihrer Heimatstadt Berlin und kehrt trotzdem mindestens einmal im Jahr in ihre "2. Heimat" am Mittelmeer zurück. Steven und Johanna kennen sich schon ziemlich lange und deswegen darf sie hier auch ab und zu ihren Senf dazu geben.

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