Das letzte Hemd hat keine Taschen.

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9 Aug

Das letzte Hemd hat keine Taschen.

9. August 2015

Eigentlich sollte sich Alfred nur vorstellen, nachdem wir auf 1.880 Meter Höhe in der Waxeggalm angekommen waren. Zwei Stunden Wanderung lagen hinter uns. Wir waren müde und hatten gerade eine ordentliche Portion Jausen gegessen. Dazu reichten uns Alfred und Ottilie Schnaps. Ich entschied mich für den Kräuter, da ich mit Klarem bisher nicht die besten Erfahrungen gemacht hatte. Hier oben fahren keine Autos, hier oben gibt es keine Geschäfte und hier oben kommen auch nicht viele Menschen vorbei. Und genau das ist es, was ich an diesem Ort von der ersten Sekunden an genoss.
Schon als wir den kleinen Stausee überquert hatten, blieb ich stehen und genoss die Aussicht. Neben der Alpenrose, einer Wanderhütte auf der anderen Seite des Zemm, lag vor uns nur noch die mikroskopische Waxegg-Alm vor den grauen Riesen Greiner, Schönbichler Horn und Ochsner.
Alfred war also dabei in kurzer Manier seine Lebensgeschichte zu erzählen. Und während ich mich sonst manchmal dabei erwische mit den Gedanken abzuschweifen, so hörte ich dieses Mal umso besser zu. Alfred hatte nicht die verrücktesten Abenteuer erlebt und nicht die spannendsten Geschichten zu erzählen. Er erzählte aus seinem Leben, seinem Arbeitsleben und er erzählte davon wie er die Welt heute sieht.
Ganze 33 Jahre hatte er als Fliesenleger und Ofenbauer mit seinem eigenen Unternehmen schon auf dem Buckel. In den letzten Jahren war er auf der Suche nach einer Oase der Ruhe. Er wollte das hektische Leben der Stadt hinter sich lassen und irgendwo in den Bergen Ruhe finden und sich auf seine Rente vorbereiten.
Inzwischen verbringt er seit drei Jahren die Monate Juni bis September auf seiner Alm im Zillertal. Dort versorgt er die Tiere der umliegenden Bauern, die ihre Kühe und Schafe auf seine Alm bringen. Außerdem sorgt er für die Erhaltung der Almflächen. Er genießt das Leben hier oben, obwohl Almarbeit auch Arbeit ist. Nur eben viel flexibler und freier. Unlängst hat er erkannt, dass das letzte Hemd keine Taschen hat und das es sich nicht lohnt sich kaputt zu schuften. Glücklicherweise war er in der finanziellen Lage etwas zu ändern. Nicht jedem gelingt das.
Nach den vier Monaten zieht er zurück nach Oberösterreich. Dann „Kommst runter und glaubst, die da unten haben alle einen Vogel.“ sagt er und beschreibt die Unterschiede in der Mentalität der Menschen. Oben in den Bergen, so Alfred, genießt man das Leben viel mehr und kommt viel mehr zu Ruhe. Die Menschen im Tal müssen das wohl noch lernen.
Wer auch mal Lust hat Alfred und Ottilie zu besuchen, der sollte ins Zillertal zur Waxegg-Alm reisen und eine Woche am herrlichen Alpenhauptkamm die Seele baumeln lassen. Ich war in der ersten Augustwoche auf der Waxegg-Alm und habe dort ein Alm-Volunteering gemacht.
 

 

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Steven Hille

Steven ist der Autor des nachhaltigen Reiseblogs Funkloch. Irgendwann dachte er sich, dass er nur noch Projekte realisieren sollte, die einen guten Nutzen haben. Aus dieser Idee heraus sammelte er Spenden für ein Tigerbaby, unterstützte ein nationales Bienenprojekt, baute einen Brunnen in Uganda und gründete mit Freunden die NGO WeWater, die sich für sauberes Trinkwasser einsetzt.

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